Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
berauschend. Aber es wurde auch
hart gearbeitet in dieser Wohnung. Gustav hockte die meiste Zeit, und wie mir
vorkam immer verbissener, über den Zeugnissen aus der alten Welt und versuchte
daraus Erkenntnisse für unsere neue zu destillieren.
Dies bedeutete natürlich keineswegs, daß ein Mensch mit
dem Erscheinen eines Zeppelins und der Alltagstauglichkeit einer mathematischen
Formel vermittels bescheidenen Wohlstands automatisch zu einem souveränen Wesen
mutiert wäre. Mitnichten! Immer noch brachte es mein bemitleidenswerter
Dosenöffner fertig, auf der Jagd nach einer debilen Mücke die Fliegenklatsche
so ungeschickt zu schwingen, daß er sich bei der Aktion mindestens einen
Knochen brach. Immer noch ähnelte seine Meinung über die Weibchen seiner
Spezies der eines Lords aus der viktorianischen Epoche, was mangels
Entsprechungen in der Realität zwangsläufig seine Dauer-Unbeweibtheit
zementierte. Und immer noch kochte er in solchen Mengen, als erwarteten wir
stets eine vierzehnköpfige Großfamilie aus der Ukraine zu Besuch. Sein
Leibesumfang und die Bodenbalken der Wohnung strebten unabwendbar einer
Katastrophe entgegen – und ich als geflissentlicher Resteverwerter in
ästhetischer Hinsicht nicht minder.
Nichtsdestotrotz war und blieb er mein Gustav: ein
exzellenter Lakai (ohne sich dessen bewußt zu sein), ein getreuer
Streichelroboter, für dessen Aktivierung ich nicht mehr als zwei Mimiken der
Niedlichkeit vorzutäuschen brauchte, und ein ewiges Studienobjekt der
Narreteien des menschlichen Seins. Ich möchte hierbei nicht unterschlagen, daß
er inzwischen auch die Anwesenheit meines »Anhangs« in der Wohnung akzeptierte.
Soweit zu den Komplimenten. Er nervte mich trotzdem ungeheuer. Aber wie der
Dichter schon sagt: Erst kommt das Fressen und dann ...
Nicht nur Gustav, auch ich arbeitete oft bis an die
Grenzen der Belastbarkeit. Thema Vögel: Wir gelten als hervorragende Jäger
dieser Spezies. Zeugt es da nicht von Weisheit, ja schierer Erleuchtung, daß
ich auf meine alten Tage zum Ornithologen geworden war? Im Frühling, wenn diese
ihren Schiß aus luftiger Höhe ausklinkenden Kreaturen die Bäume zu bevölkern
pflegten, war normalerweise meine große Zeit gewesen. Wie oft war ich früher
regungs- und lautlos stundenlang hinter einem Gebüsch gehockt, um ein
Spatzenhirn bei einem Fehltritt am Boden zu überraschen und es dazu zu
überreden, daß es mir als Snack dienen möge. Bis mir unlängst die
Lebensklugheit, mehr jedoch meine ehrfurchtgebietende Körperfülle zu der
Einsicht verhalf, daß derartige Überraschungs-Sprints schöpfungsphilosophisch und
politisch völlig unkorrekt waren. Und so begnügte ich mich damit, die
Spatzenhirne nur anzuglotzen und ihnen alles Gute für ihre hirnlose
Fortpflanzung zu wünschen. Nun ja, so einiges, was einen altersmilde werden
läßt, hat unmittelbar mit Übergewicht und Knochenbeschwerden zu tun.
Was ich sonst noch so tat? Jede Menge! Ich wurde Experte
darin, am Geräusch des Öffnens der Futter-Aluminiumschalen durch Gustavs Hand
zu erraten, um welche Fleischsorte es sich bei dem Inhalt handelte. Die
Zusammensetzung der jeweiligen Soßen sorgte nämlich für einen stets
andersgearteten Plop-Effekt. Ach ja, und dann schaute ich der Sonne zu. Wie sie
aufging und wie sie wieder unterging. Zwischen dem fast ganztägigen Dösen,
meine ich. Faszinierend, so viele Farben! Das war mir früher gar nicht
aufgefallen. Zwischendurch kam Archie uns besuchen, Gustavs bester Freund, der
ein Stockwerk über uns wohnte. Der ehemalige Trendsetter war inzwischen
ebenfalls gealtert, besaß eine Beinahe-Glatze und sehr hübsche Herrentitten.
Armer Kerl. Dem Trendsetten war er auf seine Art treu geblieben: Er lebte von
den Verkäufen irgendwelcher obskurer Güter auf Ebay. Unter anderem
verscherbelte er einen beeindruckend bunten Jesus Christus als Kerze.
Wie gesagt, wir alle arbeiteten sehr hart. Aber Spaß
beiseite, etwas hatte sich selbst in meinem vorgerückten Alter Gott sei Dank
nicht geändert, nämlich die Sache, was die einfältig grinsende Ratte betraf.
Denn hätten mir meine Instinkte irgendwann nahegelegt, nicht mehr vom Genozid
des Nagervolks zu träumen, dann wäre ich nicht nur alt, sondern im
sprichwörtlichen Sinne schon mausetot.
Ich erinnere mich an eine Zeit, da war das Leben – neu!
Alles und jedes diente gleichsam als elektrischer Impuls für etwas über alle
Maßen Aufregendes, sowohl im angenehmen als auch im schmerzlichen Sinne. Doch
darum ging es
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