Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
Willen den Vorzug. Das ist die
wichtigste Spielregel, die uns der Chef auferlegt hat. Du mußt auf das, was du
anstrebst, aus freien Stücken verzichten. Nichtsdestotrotz gibt es eine Grenze,
und du hast diese Grenze ...«
»Bitte, ich werde die Grenze nicht mehr übertreten«,
flehte nun Refizul wie um sein Leben. »Nie mehr, das verspreche ich hoch, ähm,
ja, auch heilig! Diese Sache mit der Tiersprache, sie rührt eher von einer
alten Gewohnheit her. Das ist nicht so wichtig.«
»Du lügst, Refizul! Du weißt, daß es die wichtigste Sache
ist. Die letzte wichtige Sache.«
Ich wurde bei dem ganzen kryptischen Gebrabbel das Gefühl
nicht los, daß es dabei um weit mehr ging als darum, einem chronischen
Geisteskranken seine Flausen auszutreiben. Zwischen den Zeilen vermeinte ich
die Handschrift geheimer Machenschaften zu lesen. Aber was sollte dann dieses
Gerede über den freien Willen? Lag es tatsächlich in Refizuls Hand, der
Kommunikation mit Tieren abzuschwören und dann fürderhin ein freies Leben zu
führen? Doch wie hätten sich in diesem Falle diejenigen, die ihn über dreißig
Jahre lang eingesperrt und mundtot gemacht hatten, sicher sein können, daß der
Kerl nach seiner Entlassung nicht zum erstbesten Fernsehsender lief, um die
Wahrheit ans Tageslicht zu bringen? Weshalb hatte man den Alten nicht einfach
umgebracht und somit einen Schlußstrich unter die leidige Geschichte gezogen?
Und wie stand das alles in Zusammenhang mit den grausam hingemeuchelten Dudes,
eine Verbindung, von der ich immer noch überzeugt war, daß sie existierte?
Fragen über Fragen, die zu beantworten mir das plötzlich einsetzende Knurren
meines Magens vorläufig verbat. Obgleich ich für den um Abbitte heuchelnden und
sein Lebenswerk verleugnenden Refizul tiefstes Mitgefühl empfand und obwohl ich
seinen Peinigern am liebsten ins Gesicht gesprungen wäre, meldeten sich nun
weniger idealistische Bedürfnisse und verlangten nach Befriedigung. Da fügte es
sich ideal, daß Dr. Gabriel anscheinend zum Schlußwort ansetzte.
»Es tut mir leid, mein Lieber«, sagte er. »Aber meine
Kollegen und ich halten dich für zu intelligent, als daß du über die
Konsequenzen deiner Bestrebungen nicht Bescheid hättest wissen können. Du bist
schon einmal gefallen, Refizul, und viele Male danach. Manchmal hast du
gewonnen, manchmal wir. Doch das letzte Gefecht wirst und kannst du nicht
gewinnen. Denn dafür brauchst du einen Verbündeten, der stärker ist als du
selbst. Deshalb wird die Therapie wieder aufgenommen – und die Heilung beginnt!«
»Nein! Nein!« schrie Refizul, und seine Stimme überschlug
sich dabei wie bei einem Teenager im Stimmbruch. »Nicht die Therapie, bitte
nicht die Therapie, Dr. Gabriel!« Er tobte in der Zwangsjacke, doch der
Panzermann und Zack, der mich endlich zu Boden gleiten ließ, wußten ihn zu
bändigen. Auch die anderen Doktoren griffen jetzt ein. Wie mit den Armen eines
Oktopus wurde der Alte von allen Seiten gepackt und mit gemeinsamen Kräften in
Richtung des Ausgangs am Ende des Korridors geschleift. Die um sie versammelten
Verrückten bildeten erneut eine Gasse. Dabei stießen sie ängstliche Schreie
aus, nahmen ihre bizarren Selbstgespräche und Aktivitäten von vorhin mit
doppelter Intensität wieder auf oder gerieten in spastische Verzückung. Einige
von ihnen warfen sich aus lauter Solidarität mit Refizul zu Boden, krochen
neben ihm auf allen vieren und streckten ihm zitternde Hände entgegen, als sei
er ein verkannter Heilsbringer.
Schließlich hatten ihn seine Peiniger aus dem Korridor
geschafft, und der Panzermann baute sich mit verschränkten Armen und einem
furchteinflößenden Blick vor dem Ausgang auf. Die Irrenschar heulte auf, doch
da der Zugang zu ihrem Märtyrer von diesem Brocken versperrt war, blieb ihnen
wohl oder übel nicht anderes übrig, als sich allmählich zu zerstreuen. Der
kurzzeitige Auflauf vor dem Nadelöhr kam mir gerade recht, und da der
Panzermann damit beschäftigt war, giftige Blicke zu der hyperaktiven
Greisenmeute auszusenden, schlüpfte ich still und leise zwischen seinen Beinen
hindurch und folgte dem Verschleppten.
Zack und die Ärzte schleiften Refizul durch endlose,
katakombenartige Flure, die lediglich ab und zu von winzigen Fenstern mit einem
diffusen Licht versorgt wurden. Der Alte flehte und bettelte immer noch.
Gelegentlich ging es auch eine aus Gesteinsblöcken gehauene Treppe hinab, oder
wir passierten düstere Kammern mit dem Interieur eines vor Äonen
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