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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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    Der Schneesturm tobte immer noch mit unverminderter Kraft
über unseren Köpfen. Die Wanderung über die windumtosten Dächer hatte mich und
Blaubart ganz schön mürbe gemacht. Ich schaute zurück und sah meinen alten
Freund durch den weißen Mantel stapfen. So eingeschneit wie er inzwischen war,
sah er wie ein geschrumpfter Polarbär aus. Sogar seine Schnurrhaare ähnelten in
Schlagsahne getauchten Zahnstochern. Der gute Blaubart! Wenn es jemanden gab,
dem ich Unsterblichkeit wünschte, dann diesem treuen Freund. Es war übrigens
ein rein egoistischer Wunsch. Denn was würde ich wohl ohne ihn machen? Wem
sonst könnte ich meine intimsten Sorgen anvertrauen und wen um Hilfe bitten,
wenn ich in einer echten Klemme steckte so wie jetzt? Und welchem durch und
durch anständigen Kumpel sonst könnte ich wohl meine Kumpelliebe schenken?
    »Scheiße nein, wenn wir nicht bald bei diesem verdammten
Brunnen sind, dann kann ich mich gleich in die Kühltruhe legen und darauf
hoffen, daß mich jemand zum Abendessen in die Mikrowelle schiebt«, sagte er
schnaufend. »Ich spüre vor Kälte schon meine Eier nicht mehr. Vielleicht sind
die Dinger auch längst abgefallen. Ich hoffe, dein blöder Sohn weiß das große
Opfer zu würdigen.«
    »Reg dich ab, Blaubart«, entgegnete ich. »Ich hab das
Gefühl, daß wir endlich da sind.« Ich machte halt und blickte vom Dach eines
der höchsten bislang von uns bewältigten Gebäude hinunter. Obwohl das
Schneetreiben die Sicht erschwerte und dort unten durch den Puderzucker-Look
selbst markanteste Einzelheiten gleichförmig wirkten, sprang mir der Brunnen
sofort ins Auge. Er existierte also immer noch. Die Ziegelsteinmauern um den
Garten, in dem der Brunnen stand, die einst verfallenen alten Häuser und die
früher verwilderte Flora – das alles war im Lauf der Zeit proper hergerichtet
und zu einem Reservat der oberen Mittelschicht geworden. Rote Kaminglut
leuchtete hinter vielen Fenstern der restaurierten Häuser. Blaubart stellte
sich neben mich und schaute ebenfalls in das Tal der Saturierten.
    »Da unten ist es, Blaubart«, sagte ich. »Ungefähr in der Mitte
dieses Setzkastens befindet sich der Brunnen. Wir müssen nur noch eine
Möglichkeit finden, wie wir von diesem Dach wieder herunterkommen.«
    »Scheiße nein, das glaube ich nicht, Francis. Wir müssen
eher eine Möglichkeit finden, wie wir unsere jugendliche Kraft ganz schnell
wieder zurückbekommen. Sonst kriegen wir nur noch einen Brunnen zu Gesicht, und
zwar den Jungbrunnen – im Jenseits!«
    Ich konnte seinem komischen Kommentar nichts abgewinnen,
wandte mich zu ihm und sah ihm geradewegs ins deformierte Antlitz. Der
Einäugige hatte sich von den Gärten unter uns abgewandt und glotzte über meine
Schulter ganz woanders hin. Ich folgte seinem Blick und drehte mich schließlich
um die eigene Achse. Nun ja, wie soll ich sagen, jetzt verstand ich Blaubarts
Kommentar, auch wenn ich in diesem Fall gerne der Ignoranz den Vorzug gegeben
hätte.
    In der Ferne zwischen den mächtigen, unheilschwanger
paffenden Schornsteinen und den schneckenhausförmigen Gauben standen fünf
Gestalten und starrten uns an. Das Schneetreiben verwandelte auch sie in
gespensterhafte Wesen, wiewohl ich sie dem Geschlecht der Felidae zuzuordnen
vermochte. Seltsamerweise waren sie überhaupt nicht eingeschneit, sondern
wurden von den inflationären Schneeflocken großzügig umflogen. Samt und sonders
gehörten sie der Rasse der Abessinier an, die älteste Rasse unserer Art
überhaupt. Die luchsähnlichen, mit schwarzen Ohrpinseln ausgestatteten Gesellen
besaßen einen langen, schlanken orientalischen Körpertyp. Aufsehenerregend war
ihr sandfarbenes Fell mit schwarzen Streifen an den Beinen, der Brust und am
Schwanz. Dieses einzigartige, sogenannte getickte oder gebänderte Fell ging auf
ein mutiertes Gen zurück, welches dafür sorgte, daß jedes Haar zwei oder
mehrere dunkle Bänder trug. Ihre Vorfahren stammen aus dem Niltal, was ihre
frappierende Ähnlichkeit mit jenen Artgenossen erklärt, die von den alten
Ägyptern gemalt und modelliert wurden. Mit ihren hellgrünen Augen, dem fast
golden leuchtenden Wüstenkleid und den übergroßen Lauschern wirkten diese fünf,
als hätte sie ein böser Fluch aus dem Traumreich der Hieroglyphen in diese
unwirtliche Gegend verschlagen.
    Sie standen reglos am anderen Ende des Daches und
musterten uns starren Blicks. Etwas Unheimliches ging von ihnen aus, geradeso,
als wären sie warnende Statuen. Daß sie

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