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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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zwischen Furcht, Verzweiflung und
unendlicher Trauer über den verlorengegangenen Gefährten, versuchte ich einen
klaren Gedanken zu fassen. Auf welch perfides und nun nachgewiesenermaßen
tödliches Spiel hatte ich mich da eingelassen? Wohin führte das alles? Und
welcher Teufel hatte mich geritten, daß ich Junior von dieser fatalen
Vergangenheit berichtet hatte? Da kam der Fahrstuhl plötzlich zum Stehen, und
die Schiebetüren öffneten sich.
    Das blasse Licht in der Kabine erlosch. Ich sah in einen
finsteren Flur ... Nein, das war reines Wunschdenken. Es gab vor mir weder
einen Flur noch sonst etwas, sondern nur ein schwarzes Nichts. Allerdings
glimmte etwas Helles in der Ferne. Offenkundig wies es mir den Weg. Ich hatte
keine Alternative, als diesem schwachen Leitstern zu folgen, hatte mich doch
die zurückliegende Minute gelehrt, was es hieß, sich in einem Fahrstuhl mit
eingebauter Falltür aufzuhalten. Also lief ich los. Ich spürte zwar festen
Boden unter meinen Pfoten, das hieß aber nicht, daß diese taktile Empfindung
wirklich etwas mit der Realität zu tun hatte. Raum und Zeit waren hier
aufgehoben, das wußte ich. Eigentlich hätte das Ganze auch ein Traum sein
können. Und wer weiß, vielleicht war es das auch, wäre da nicht die
schmerzhafte Realität von Juniors Verschwinden und Blaubarts bizarrem Tod. Die
Helligkeit rückte immer näher, und allmählich erkannte ich, daß sie die
Bruchstelle zu einer anderen Welt war, deren Rahmen die typischen zerfaserten
Umrisse aufwies. Nun befand ich mich nur noch wenige Meter von der magischen
Grenze entfernt und erhielt einen ersten Blick auf das Dahinter. Es handelte
sich um einen dämmerig erleuchteten Raum, um einen vertrauten Ort, wie mir
schien. Ja, alles, was mir lieb und teuer war, kam aus dem heimeligen Licht
langsam zum Vorschein: Der von uns als Kratzbaum benutzte, zerfurchte, alte
Ledersessel, in dem Gustav gewöhnlich einnickte, das Schaffell, auf dem meine
Lieben und ich gewöhnlich ebenfalls dem kleinen Tod zu frönen pflegten, und der
an Wintertagen stets glühende Kamin. Ich betrat unser gutes altes Wohnzimmer.
    Es war nachts. Gustav war wie üblich im Sessel eingenickt;
ich sah den schattenhaften Ansatz seines Hinterkopfes über der Kopflehne.
Draußen hinter dem Fenster flogen die Schneeflocken vorüber. Der Flammenschein
der Holzscheite aus dem Kamin erfüllte jeden Winkel mit seinem lauschigen
Licht. Allein diejenigen, die mein Leben ausmachten und ohne die ich inzwischen
nichts Lebenswertes mehr empfand, glänzten durch Abwesenheit. Grenzenloser
Trübsinn erfüllte mich jäh, und der Raum, den ich stets als mein Refugium
betrachtet hatte, verwandelte sich in einen seelenlosen, frostigen Ort.
    Ich schlurfte gesenkten Hauptes bis zur Mitte des Zimmers
und schaute dann zu dem Ledersessel auf. Darin saß nicht Gustav!
    »Sag jetzt nicht, daß du überrascht bist, Francis.«
    Anstatt im Lauf der Jahre älter und gebrechlicher zu
werden, hatte Refizul sozusagen den umgekehrten geron-tologischen Prozeß
vollzogen und saß nun in verjüngter Version im Sessel. Aber vielleicht war dies
die falsche Betrachtungsweise auf jemanden, der seit Menschen- und Tiergedenken
immer derselbe blieb. Er hatte die hüftlangen Silberhaare Strähne für Strähne
über seinem Oberkörper ausgebreitet wie der Medizinmann eines primitiven
Stammes. Die leuchtenden blauen Augen, die markante Nase mit dem eleganten
Höcker, die purpurroten Lippen, das spitze Kinn, sie waren eingebettet in eine
Gesichtshaut, die wohltemperiert unter mediterraner Sonne gebräunt zu sein
schien. Er steckte in einem leicht schimmernden, rabenschwarzen Anzug von Dolce
& Gabbana mit einem roten Kruzifix auf dem Jackenrevers. Das allerdings
verkehrt herum eingesteckt war.
    Kurz, der Kerl sah aus wie ein Idol aller sich im
gesetzten Alter befindlichen Kerle. Er hätte für sie Werbung machen und
irgendwelche Vitamine vor der Kamera schlucken oder mit seinen blitzenden
Zähnen in einen knackigen Apfel beißen können. Auf seinem Schoß lag ein
aufgeklapptes Notebook.
    »Ich habe mir schon so etwas gedacht, Refi.« Ich
versuchte, so weit es ging, mir mein blutendes Herz nicht anmerken zu lassen.
    »Ach wirklich?« Er lächelte maliziös, und die milden
Fältchen um seine Augen bekamen ganz kurz etwas Scharfkantiges. Anscheinend
hatte er mich vom ersten Moment an durchschaut. »Nun ja, an deiner überragenden
Intelligenz habe ich nie gezweifelt. Nur an deiner Loyalität. Warum hast du
dich so lange

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