Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
den Blick nach
rechts wandte. Der Panzermann war wieder von den Toten auferstanden! Und wie
stilvoll. Der Kerl mit dem pockennarbigen Gesicht und der Statur eines Elefanten,
eine gefährliche Mischung aus Muskeln und Fett, steckte in einer mit
Goldknöpfen bestückten, scharlachroten Livree eines Portiers. Er trug sogar
eine feine Mütze und Samthandschuhe. Um ihn herum verlief eine ovale
Portiersloge, in die locker ein Reihenhaus gepaßt hätte. Doch im Gegensatz zu
seinem früheren rüpelhaften Verhalten grinste er mich nur an und deutete mit
der Rechten zum Aufzug.
»Ich hätte mich darauf nie einlassen sollen«, ist die
gängige Floskel, wenn von selbstverschuldeten Katastrophen die Rede ist. Nur
verhielt es sich bei mir anders. Ich hatte keine Wahl! Und Gott allein wußte
wirklich und wahrhaftig warum. Blaubart und ich begaben uns zum Fahrstuhl und
stiegen ein. Die Türen schlossen sich hinter uns, und es wurde ziemlich dunkel.
Einzig ein fahler Strahler an der Decke beleuchtete die Kabine. Trotzdem kam
der Luxus voll zur Geltung. Roter Samt schmückte die Wände, und über der Tür
war ein Dämonenhaupt angebracht. Ein goldener Handlauf führte übers Eck.
Da Unerklärlichkeiten in diesem Gebäude offenbar zum
Alltag gehörten, wunderte es uns auch kaum, als der Aufzug sofort aufwärts
fuhr, ohne daß einer von uns auch nur überlegt hatte, wie überhaupt und welche
Taste er an der Steuerungskonsole hätte drücken sollen. Unsere Blicke hingen an
dem Display neben der Tür. Zunächst zählte das Ding brav die passierten
Stockwerke ab. Doch nach dem dreißigsten Stock gab es den Geist auf und
präsentierte nur noch ein unkontrolliertes Blinken. Zwischendurch schaute mich
Blaubart immer wieder fragend an, als würde ich das Reiseziel kennen. Wie soll
ich sagen, ich tat es und doch wieder nicht. Zwar konnte ich mir ungefähr
denken, wem wir gleich gegenüberstehen würden, aber gleichzeitig ...
Plötzlich vernahmen wir ein Geräusch, als kreuzten zwei
Musketiere krachend die Klingen. Unter unseren Pfoten schien etwas vorzugehen.
Furchtsam schauten wir hinunter. Exakt in der Mitte des quadratischen
Marmorbodens wurde jäh eine dunkle Linie sichtbar, die von einem Ende zum
anderen reichte. Daran spaltete sich der Boden, und die jeweiligen Teile
bewegten sich seitwärts. Geistesgegenwärtig machte ich einen Satz auf den
Handlauf und drückte mich gegen die Kabinenwand. Blaubart wollte es mir
gleichtun und sprang ebenfalls nach oben. Doch seine Pfoten rutschten an der
goldenen Stange ab, und er stürzte auf eins der noch knapp verbliebenen
Bodenteile.
Die immer größer werdende Öffnung in der Mitte enthüllte
im Fahrstuhlschacht ein wahres Inferno. Es brannte darin lichterloh. Haushohe
Flammen schlugen entlang der Zugseile empor, die ein enervierendes Kreischen
von sich gaben. Das Feuer schnappte mit rot-, grün- und blauglühenden Zungen
nach dem nach oben rasenden Aufzug und drohte schließlich ins Kabineninnere
überzugreifen. Explodierende Feuerbälle, gigantische Flammensäulen und ein
Niederschlag aus Funken und Gluttropfen verwandelten die Höhlung in einen
kochenden Vulkan. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis die Stahlseile
unter der gewaltigen Hitzeeinwirkung auseinanderbarsten und den Fahrstuhl zum
Absturz brachten. Wer wollte uns bloß an den Kragen? Die Feuermelder hätten
schon längst Alarm schlagen und die Sicherheitsleute mitkriegen müssen, daß das
Gebäude an der Grenze zu einem Großbrand stand.
»Los, Blaubart!« rief ich. »Versuch's noch mal!«
Blaubart hechtete zum zweiten Mal zu mir hoch, rutschte
jedoch erneut an der blankpolierten Stange ab. Als er niederstürzte, gab es
keinen Boden mehr unter seinen Pfoten. Der zweigeteilte Marmor war gänzlich
verschwunden und hatte dem quadratischen Loch in das Höllenfeuer Platz gemacht.
»Francis! ... Francis!« schrie der treue Freund
erbärmlich, während er entsetzter Miene und mit allen vieren zappelnd in den
Feuerschlund sauste. Eine Flammenwelle erwischte ihn, hüllte ihn vollständig ein,
und Blaubart war einmal. Einen Wimpernschlag lang bildete geisterhafter Rauch
in einer grausigen Momentaufnahme seine Konturen ab, bis der Glutofen auch
diese letzte Spur vernichtete. Gleich daraufschloß sich der Boden wieder. Von
beiden Seiten bewegten sich die Marmorteile aufeinander zu, bis sich am Ende
sogar der dunkle Strich in der Mitte in Luft auflöste. In der Kabine sah es so
aus, als wäre nichts passiert.
Hin- und hergerissen
Weitere Kostenlose Bücher