Felidae
blieb, das er dorthin mitnahm, wo weder Namen noch die Zugehörigkeit zu irgendeiner bestimmten Rasse etwas gelten. Den Flammen fielen auch das Teufelsprogramm »Felidae« und die Millionen, nur Schuld und Grauen beinhaltenden Daten im Computer zum Opfer. Ich selbst konnte dem Inferno in letzter Sekunde noch entfliehen und mich mehr tot als lebendig nach draußen retten. Bis die Feuerwehr sich durch den Schneesturm gekämpft hatte und ihre vereisten Wasserhähne aufdrehen konnte, gab es am Karl-Lagerfeld-Haus nichts mehr zu löschen. Somit radierte das Feuer abermals ein Stück Böses aus der Welt, machte die Finsternis zum Licht.
Doch hat diese komplizierte Geschichte ein so simples Ende verdient?
Wer vermag das schon zu beantworten? Wer hatte Recht und wer Unrecht? Wer war gut, wer böse? Wo hörte die Finsternis auf, wo begann das Licht? Schwarz und weiß: ein Wunschtraum, ein Weihnachtsmärchen für Kinder, Hirngespinste von Moralisten! Ich glaube, wie jede gute Geschichte endet auch diese grau in grau. Wer weiß, würde man sich mit dieser sonderbaren Farbe sehr, sehr intensiv beschäftigen, käme sie einem am Ende vielleicht doch noch schön vor, zumindest real.
Ich schleppte mich wie in Trance nach Hause zurück und verlor inmitten von Tokyo, also im neuen Schlafzimmer, das Bewu ß tsein. Am folgenden Morgen bekam Gustav beim Anblick meiner zahlreichen Verletzungen und meines völlig blutverklebten Fells vor Schreck einen Schreikoller und kutschierte mich in seinem Citroën CX-2000 umgehend zum Pferdedoktor. Dieser quälte und piesackte mich noch mehr, so da ß in mir hä ß liche Assoziationen zu Preterius' Folterversuchen wach wurden. Auch der Heilungsproze ß war ein dunkler Pfad voller Schmerzen und ließ mich Vergleiche zu Claudandus' traurigem Schicksal ziehen.
Ich habe mich aber inzwischen glänzend erholt und erfreue mich bester Gesundheit.
Blaubart und den Dünnbrettbohrern im Revier habe ich nicht verraten, wer der Mörder wirklich war. Es erschien mir einfach nicht wichtig. Sie alle sollten Pascal in guter Erinnerung behalten. Denn Ha ß und Rache waren sein Trachten gewesen, nicht meins. Den auf Vater Joker lastenden Verdacht konnte ich nach und nach ebenfalls zerstreuen, und es gelang mir auch, den miesen Eindruck zu korrigieren, den die Revierbewohner in der nächtlichen Versammlung von ihm erhalten hatten. Sie denken nun, er sei in einen anderen Distrikt ausgewandert, um seine Lehre weiter zu verbreiten. Auch ihn hält infolgedessen niemand für den Mörder, wiewohl die Bewohner des Porzellanhauses im Frühling, wenn die Sonne scheint, eine stinkende Überraschung erleben werden.
Die Frage, wer der Mörder war, wird für die anderen also immer ein Rätsel bleiben. Doch niemanden wird diese Frage weiter beschäftigen, weil es keine Morde mehr geben wird. Und irgendwann wird niemand mehr an diese Geschichte denken, sich an die schrecklichen Geschehnisse erinnern. Auch Mörder sterben und mit ihnen die mysteriösen Geschichten, die uns eine Zeitlang in Atem gehalten haben.
Blieben zum guten Schlu ß einige Nachträge zu machen.
Zuerst die alarmierendste Nachricht: Im nächsten Monat will Archibald sich in dem Stockwerk über uns einnisten, weil er während der Renovierungsarbeiten, wie er sich so blumig ausdrückt, »echt tierisch auf diesen Puff abgefahren« ist. Abgesehen davon, da ß mir dann eine neue, gehörschädigende Sanierung bevorsteht, werden Gustav und ich künftig tagtäglich das dummdreiste In-und-Out-Gerede dieses Zeitgeist-Terroristen über uns ergehen lassen müssen. So wie ich diesen Bastard kenne, schafft er sich womöglich auch noch einen Hund an und tauft ihn »Beuys« oder »Pavarotti« oder am Ende gar »Kevin Costner«! Düstere Zeiten brechen also an. Wenn man diese Bedrohung allerdings aus dem humanistischen Blickwinkel betrachtet, könnte man ihr vielleicht doch noch etwas Positives abgewinnen. Gustav wird dann mehr menschliche, wenn auch reichlich hohle, Gesellschaft zuteil, und er bekommt eine reelle Chance, aus seinem Gefängnis der Einsamkeit auszubrechen.
Ein anderer hat die kalte Zeit der Einsamkeit bereits hinter sich. Blaubart und ich konnten Jesaja mit viel Überredungskunst aus der Katakombe herauslocken und ihn bei einem alten, vertrottelten, gutmütigen Kneipier in der Nachbarschaft unterbringen. Er hat vor Aufregung und Freude geweint, als er nach all den Jahren in der Unterwelt zum ersten Mal wieder den blauen Himmel erblickte. Seine anfängliche
Weitere Kostenlose Bücher