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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Scheu anderen Artgenossen, vor allem aber den Menschen gegenüber hat er inzwischen überwunden. Er markiert bereits das allseits beliebte Maskottchen in dieser Kaschemme. Bedenklich finde ich es nur, da ß ihn die Gäste dort ab und an mit Spirituosen verwöhnen und er sich nur zu gern von ihnen verwöhnen lä ß t. Allein die Tatsache, da ß ein Artgenosse Alkohol zu sich nimmt, finde ich eine wissenschaftliche Abhandlung wert. Wenn das mal gut geht!
    Pascals Wunderrasse verwildert zusehends, oder präziser ausgedrückt, immer mehr von den Alt-Neuen paaren sich mit uns »Standards«, so da ß die kommenden Generationen wieder in dem domestizierten Typ aufgehen werden. Mit Pascals Tod, so scheint es, haben sie alle Hemmungen verloren und sind begierig darauf, neues Terrain zu betreten. Meine betörende Geliebte Nhozemphtekh sehe ich oft durch die Gärten streunen, und wir grüßen uns dann höflich und lächeln einander wissend zu. Ich warte nur auf die Gelegenheit, da ß sie wieder in Hitze gerät. Dann wird der süße Rausch jenes zauberhaften Vormittags zurückkehren, und wir werden gemeinsam die Galaxien der Lust durchschweben - wenn Kong uns nicht dazwischenfunkt!
    Was diese Art Wünsche betrifft, haben Blaubart und ich uns für die Zukunft viel vorgenommen. Nach all den schauderhaften Erlebnissen werden wir den bevorstehenden Frühling und Sommer ganz gemütlich und beschwingt angehen und uns ausschließlich auf den Flügeln der Liebe tragen lassen.
    Schon scheint auch die Sonne zwischen den stahlgrauen Eiswolken, lä ß t sie erbarmungslos wegschmelzen und wirft ihre zaghaften ersten Strahlen dieses neuen Jahres auf den Computer, den Gustav sich unlängst angeschafft hat. In diesen habe ich in den letzten Tagen meine Erinnerungen an den Claudandus-Fall eingegeben. Gustav selbst hat natürlich bereits nach zwei Tagen das Interesse an dem Gerät verloren, weil er trotz der Lektüre von sechs Handbüchern nicht damit zurechtkam. Bleibt die Hoffnung, da ß Archie ihm etwas zur Hand gehen wird, wenn er in unser Haus eingezogen ist.
    Ich sagte, da ß jede wahre Geschichte traurig endet. Nun, das stimmt nur zum Teil. Denn unser Leben ist ja andererseits auch eine Geschichte, die Gott erzählt. Wir schreiben sie zusammen mit Gott. Wir sind sozusagen Co-Autoren. Unser freier Wille und seine Gnade arbeiten zusammen und stehen doch ständig im Konflikt. So schlecht kann diese Geschichte also nicht sein. Und so endet auch die Geschichte von Claudandus, dem Mörder, mit einem lachenden und einem weinenden Auge, je nachdem, von welchem Standpunkt aus man die Sache betrachtet. Was mich angeht, so bin ich durchaus in der Lage, mir beide Perspektiven anzueignen. Claudandus war verständlicherweise nicht imstande dazu. Er hielt die Welt für einen furchtbaren Ort. Er war nie glücklich, er hätte nie glücklich sein können. Er ha ß te die Menschen. Er ha ß te die ganze Welt. Er sagte, wir hätten alle keine Ahnung, wie die Welt wirklich ist. Nein, es ist nicht ganz so schlimm. Aber manchmal mu ß man ein wachsames Auge auf die Welt haben. Sie scheint hin und wieder verrückt zu spielen.
    Vielleicht bin ich zu blauäugig und sehe die katastrophalen Verhältnisse um mich herum durch eine rosa Brille, weil mir die schlimmen Erfahrungen fehlen, die Claudandus mit den Menschen gemacht hat. Tatsache ist, da ß der Mörder trotz der Finsternis, die ihn umgab und von der er durchdrungen war, sehr wohl tiefe Einblicke in die wahre Natur der Dinge gehabt hat. Vieles, von dem er sprach, kam der Wahrheit in der Tat verdammt nah. Was ihm fehlte, war jedoch Hoffnung und der Glaube an das Licht. Aber wo wären wir, die zerbrechlichen Geschöpfe dieser zerbrechlichen Welt, ohne Glaube und Hoffnung?
    Wir wollen also mit einem wachsamen Auge hoffen. Und wir wollen des grausamen Mörders gedenken, der Böses mit Bösem vergelten wollte. Oder wie der satanische Preterius in einem seiner lichten Momente erkannt hatte: »Mir scheint, er hat die Unschuld verloren.« Ja, das wird es wohl gewesen sein. Claudandus' Handikap war, da ß er die Unschuld verloren hatte. Wie die Menschen.
    Wir aber wollen an die Unschuld glauben. Vor allem die Menschen sollten niemals vergessen, da ß sie von den Tieren abstammen und infolgedessen auch in ihnen noch ein winziges Stück Unschuld steckt. Claudandus sagte: »Tiere sind gute Menschen und Menschen böse Tiere.« Ob gut oder böse, wir alle sind letzten Endes Tiere und sollten uns daher mit Kollegialität und

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