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Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Titel: Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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damit die frischbestellten, exquisiten Möbel keine häßlichen Kratzspuren davontrugen ( 3 ). Himmel, welche Martern standen mir noch bevor?
    Ich muß gestehen, daß ich die Reise nicht angetreten hätte, jedenfalls nicht in jener Nacht, wenn Gustav ehrenhalber noch eine ernstzunehmende Opposition bezogen, wenn er die Dinge zumindest nach ein Weilchen in der Schwebe gehalten hätte. Schließlich waren wir jahrelang, um genau zu sein, seit meiner Geburt, treue Freunde gewesen, hatten so manch eine schwere Stunde gemeinsam überstanden und so manch ein freudiges Ereignis zusammen gefeiert. Liebe ... Gab es denn keine Liebe mehr in dieser schwarzen Welt? Und kein Vertrauen? Er hatte mich doch einmal wirklich und wahrhaftig über alles geliebt ...
    Aber bevor sie sich aneinanderschmiegten und - man glaubt es kaum - ausgerechnet nach diesem Thema auf ihre abscheuliche Art Liebe zu machen begannen, sagte er lediglich »In Ordnung« und »Gleich morgen«. »Verräter!« wollte ich ihm daraufhin entgegenschreien, »du elender Verräter!« Ich tat es nicht. Warum? Nun, was hatte man schon von Kreaturen zu erwarten - individuelle Ausnahmen spielten keine Rolle -, die Hunde so abrichten, daß sie einander zerfleischen, die einem Bären einen Ring durch die empfindliche Nase ziehen und daran unter dem frenetischen Gegröle des Publikums wie wild zerren und die das öffentliche Abstechen eines desolaten Rindes als Gipfel der Männlichkeit betrachten? Etwa Vertrauen? Mitleid? Respekt? Selbst der Teufel pflegt seine mit Blut unterschriebenen Verträge einzuhalten. Der Mensch jedoch hat bisher keinen einzigen Punkt des Kontraktes erfüllt, den wir mit ihm in der Urzeit, als er auf uns in jeder Beziehung angewiesen war, geschlossen haben. Oder um wiedermals meinen guten alten Lehrmeister Schopenhauer zu bemühen: »Der Mensch ist im Grunde ein wildes, entsetzliches Tier. Wir kennen es bloß im Zustand der Bändigung und Zähmung, welcher Zivilisation heißt: daher erschrecken uns die gelegentlichen Ausbrüche seiner Natur. Aber wo und wann einmal Schloß und Kette der gesetzlichen Ordnung abfallen und Anarchie eintritt, da zeigt sich, was er ist.« Und nicht nur dann, mochte ich dem hinzufügen.
    Ich wandte mich von den wilden Tieren ab, die sich ungerührt von der bevorstehenden Verstümmelung ihres kleinen Freundes weiter balzten, durchlief die Küche und die Toilette und sprang auf die Fensterbank. Vor mir breiteten sich die dunklen, verregneten Gärten aus wie eine unheilvolle Drohung. Hinter mir lag eine Welt, die mir einst trotz gelegentlicher Ärgernisse als die beste aller möglichen Welten erschienen war. Wenn die Stunde einmal gekommen wäre, hätte ich in dieser Welt sterben wollen. Vergilbte Bilder, die ich aus den Erinnerungsrinden meines Hirns längst gelöscht zu haben glaubte, stiegen vor meinem geistigen Auge auf wie Blüten aus einem nach oben gerichteten Füllhorn, begleitet von einer süßlichen Leierkastenmusik. Ich ließ unsere glücklichen Tage im Gedächtnis Revue passieren, einschließlich der Episode, als ich Gustav meine erste selbsterlegte Maus aus reiner Hochschätzung gleichsam als Opferlamm nur halbangefressen auf den Schreibtisch gelegt hatte. Ja, es hatte auch Zeiten der Verzweiflung gegeben. Doch war ich für ihn nicht das ideale Therapeutikum gewesen, indem ich mich in schwärzester Nacht unter seine Decke gekuschelt und seine Tränen in meinem Fell aufgefangen hatte? Und hatte er mich nicht seinen wenigen Freunden gegenüber zwar als Scherz getarnt, in Wahrheit aber in vollem Ernst immer als seinen »Sohn« bezeichnet? Welcher Fluch hatte meinen Vater so verzaubert, daß sein Herz plötzlich in Granit verwandelt schien?
    Tränen fluteten in meine Augen, rannen in Richtung des Maules und perlten dann vom Unterkinn hinab. Das Prasseln des Regens bildete eine schwermütige Begleitmusik zu meiner trostlosen Stimmung, und mit einem Mal wurde mir kristallklar bewußt, daß ich alles würde aufgeben müssen, wenn ich nun wegging. Es verstand sich von selbst, daß ich auf keinen Fall in den Nachbarvierteln eine neue Heimstatt auskundschaften durfte, da Gustav bestimmt am nächsten Morgen eine Suchaktion starten würde. Nein, ich mußte weit, weit weg, mit Sicherheit sogar aus der Stadt hinaus, dorthin, wo auf Baumstämme gepinnte Steckbriefe und Suchinserate in Zeitungen ihre Wirkung verlieren würden. Hast du dich nicht in letzter Zeit so ekstatisch für das Landleben entflammt? fragte der Optimist in

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