Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
wasserscheu sind. Wir wollen nur nicht gebadet werden, weil wir im Gegensatz zu Menschen immer sauber sind. Natürlich kannte ich mich in der näheren Umgebung aus, da ich schon oft Ausflüge im Revier unternommen hatte. Diesmal jedoch schien mir der Ort ganz und gar nicht vertraut. Im Gegenteil, er wirkte geradezu exotisch und bedrohlich. Die alten, malerischen Straßenlaternen glichen absurd schlaksigen Spionen mit undurchsichtigen Absichten. Und der Asphalt mit dem wogenden Wasserfilm darüber war eine Rampe ins Ungewisse, die den Eindruck machte, als würde sie jeden Augenblick aufhören und einen in die tiefsten Abgründe des Grauens befördern. Warum nur erschien mir das Milieu, in dem ich mich eigentlich auskannte wie in meiner Westentasche, auf einmal so duster? Es hatte doch nicht etwa mit dem Wissen zu tun, daß es kein Zurück mehr auf das flauschige Schafsfell vor dem knisternden Kaminfeuer gab? Schäbig, schäbig, schimpfte ich mich daraufhin selber aus, du bist noch keine hundert Meter von der Hölle entfernt, da lockt dich schon wieder der ganze bürgerliche Schmus. Du verweichlichter Dummkopf, konzentriere dich lieber auf deine Nüsse, die im Sommer aufgehen werden wir strahlende Zwillingssonnen vor einem brennenden Firmament!
Solcherart motiviert, tapste ich meinen Weg mechanisch weiter, während das Gewitter allmählich in einen bösartigen Sturm umschlug. Dabei fragte ich mich, ob ich den Nobelpreis erhalten würde, wenn ich die simple Tatsache zu einem Naturgesetz erklärte, daß man mit den Annehmlichkeiten des Lebens bis zum Überdruß verwöhnt wird, solange es einem ohnehin an nichts mangelt, wogegen sich sämtliche Widrigkeiten prompt und gehäuft einstellen, wenn man gerade in der Klemme steckt? Denn warum mußte ich ausgerechnet jetzt, zu Beginn meiner glorreichen Flucht, in den Drehort eines schlechten Seefahrerfilms geraten? Optisch hatte ich mich bereits um die Hälfte meiner üblichen Erscheinung reduziert, da das Fell sich gänzlich mit Regenwasser vollgesogen hatte und die nassen Haare wie bei einem Marder eng am Körper klebten. Wenn mich jemand in diesem Aufputz gesehen hätte, hätte er vermutlich nicht einmal bestimmen können, welcher Art ich angehörte. Komplizierte Blitzverästelungen zuckten am Himmel und gaben durch ihr flüchtiges Schlaglicht das ganze Ausmaß der Sintflut preis. Die Schauer waren nun dazu übergegangen, in Gestalt von ausschweifend wallenden Schleiern niederzugehen. Der Wasserspiegel auf der Straße stieg merklich und erreichte bald das Niveau eines kleinen Stromes. Überall schlugen mit ohrenbetäubendem Knall ungeschlossene Fensterläden gegen Mauern, brachen Äste von Bäumen ab und stürzten auf die Straße, kippten durch kräftige Windstöße Mülleimer um, wobei das durchdringende Prasseln der Regentropfen auf den Autodächern zu diesen herausragenden Soli die passende rhythmische Grundlage lieferte.
Ich blieb stehen und überlegte. Konnte ich mir für meinen Aussteigerstart keinen günstigeren Zeitpunkt aussuchen? Vielleicht war es ratsam, sich in einem Hauseingang unterzustellen, bevor man das Aussehen jener Zeitgenossen annahm, die mit Vorliebe in Waschmaschinentrommeln schlafen und, falls sie jemals wieder aufwachen, sich in einer faszinierenden Unterwasserwelt voller Sockenaale und Schlüpferquallen wiederfinden. Noch besser war es freilich, rasch in das Gustavsche Anwesen zurückzusprinten, dort eine Trocknungspause einzulegen und, nachdem das Unwetter abgeklungen wäre, mit frischen Kräften erneut einen Ausbruchsversuch zu wagen. Obwohl es gegen die guten Vorsätze verstieß, entschied ich mich für die letztere Möglichkeit. Doch das war leicht gesagt, denn als ich den Rückzugsplan in die Tat umsetzen wollte, bekam ich es mit einem neuen Problem zu tun: Ich hatte mich inzwischen hoffnungslos verlaufen. Die Straße, in der ich mich befand, unterschied sich kaum von den anderen in dem Altbaugebiet. Außerdem ließ der Regenvorhang jedes Haus, jeden Vorgarten mit den verschnörkelten Gittern und jede antiquierte Straßenzeile wie durch eine beschlagene Taucherbrille verschwommen aussehen. Ich hätte mir während meiner früheren heimlichen Ausflüge die Straßennamen auf den Schildern merken sollen. Doch leider hatte ich aus stumpfsinniger Gewohnheit stets die artspezifische Technik bevorzugt und anhand der von Kollegen hinterlegten Duftmarken einen Geruchsstadtplan im Kopf erstellt. Kunststück, daß diese spezielle Art der Kartographie bei
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