Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
durchzulassen. Obgleich ich inzwischen mit dem Tod auf gutem Fuß stand, dachte ich nicht im Traum daran, ihm seine Arbeit leicht zu machen. Im Gegenteil, der Sensenmann sollte sich bei mir so richtig ins Zeug legen. Deswegen schlich ich mich auf leisen Pfoten neben die Spalte, und erst als ich mich versichert hatte, daß von innen keine verdächtigen Geräusche kamen, riskierte ich einen Blick hinein. Es war ziemlich duster da drin, doch das Felsgestein schien oben ein paar Löcher aufzuweisen, so daß Tageslicht in Gestalt von strahlenden Säulen in die Höhle drang. Ich schluckte und schaute ängstlich zum Himmel auf, den nun Blitzte durchzuckten. Tiefgraue Wolkenfelder, aufgebläht zu furchteinflößenden Ballen, hatten sich ineinander verkeilt und schienen geradezu miteinander zu ringen. Die Luft war stickig, weil dieses unheilvolle, undurchlässige Wolkengebräu schwer auf der Erde lastete; jeden Moment würde ein monumentales Gewitter niedergehen. Vielleicht sollte es mir nicht mehr vergönnt sein, je wieder einen Himmel zu sehen. Bevor ich der Versuchung erlag, zu einem aufwendigen Gebet anzusetzen, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ging hinein.
Zum Glück erleichterten die aus dem Deckengestein dringenden Lichtlanzen die Orientierung. Während ich mich schrittweise ins Innere der Höhle bewegte, registrierte ich, daß das muffige Reich zumindest mit einer gewissen Überschaubarkeit aufwartete. Zwar besaß es die Größe einer kleinen Halle, doch gottlob war es weder heimtückisch verwinkelt noch mit schummerigen Nischen und Abzweigungen versehen. Wenn der verrückte Hugo und die Dogge einen Angriff planten, würden sie dies in Ermangelung brauchbarer Verstecke kaum aus dem Hinterhalt bewerkstelligen können. Lediglich hockerartige Bodenerhebungen, die vereinzelt mannshoch waren und an Stalagmiten in Tropfsteinhöhlen erinnerten, boten noch eine gute Deckung, und sorgten für beklemmende Spannung.
Die Angst wich zwar nicht zurück, wurde jedoch immer mehr von der Faszination dieses geheimen Ortes überlagert. Je weiter ich vorwärts kam und je genauer ich die Dinge in Augenschein nahm, desto mehr trat der eigentliche Zweck meines Eindringens zurück, und die Neugierde für das Unerforschte nahm von mir Besitz. Um so erfreuter war ich, als ich überraschend eine spektakuläre Entdeckung machte. Auf die Felswand rechterhand waren jede Menge Bilder von Büffeln, Pferden, Steinböcken und euphorisch tanzenden Menschengestalten gezeichnet. Zwar sah ich die Darstellungen in trübem Licht, und die ursprünglichen Farben konnte man nur ahnen, doch gab es keinen Zweifel daran, daß ich es hier mit echter Höhlenmalerei zu tun hatte. Vielleicht war ich nicht der erste, der diese Kostbarkeiten entdeckte, aber das minderte die Begeisterung in keiner Weise. Bei der Betrachtung der sehr sorgfältig ausgeführten Zeichnungen entsann ich mich an die vielen Fachbücher über dieses Thema aus Gustavs Bibliothek, die ich einst mit großem Enthusiasmus gelesen hatte. Die Verehrung bestimmter Tiere durch den Menschen reicht nämlich weit in prähistorische Zeiten zurück. Viele Jahre lang hat man angenommen, die Darstellungen seien von der Vorstellung veranlaßt, das Bild eines Büffels an der Höhlenwand gebe dem Menschen Macht über das Tier. Wenn man die Bilder jedoch mit dem Auge des Zoologen betrachtet, wird plötzlich etwas Neues sichtbar: Auf den Bildern sind nicht etwa lebende, sondern tote Tiere zu sehen. Es ist nämlich eindeutig zu erkennen, daß das Gewicht der Tiere nicht auf ihren Hufen lastet. Es handelt sich um die Füße von Tieren, die auf der Seite liegen und nicht etwa aufrecht stehen. Die Höhlenmalereien stellen frisch getötete Tiere dar und sollen deren Andenken ehren. Sie legen Zeugnis ab von der großen Achtung, welche die damaligen Menschen den Geistern der von ihnen erlegten Tiere entgegenbrachten. Je naturgetreuer die Künstler die Gestalt des Beutetiers an die Felswand bannten, um so eher würde dessen Seele sich bereit finden, die neue Wohnung anzunehmen. Junge, Junge, seit diesen magischen Zeiten war zwischen uns und den Menschen eine Menge schiefgelaufen.
Am besten gefiel mir eine Zeichnung, die im Grunde so eine Art prähistorischer Comic zu sein schien. Darin jagte ein Mann mit einem Speer ein Tier, das eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Bären besaß. In der nächsten Zeichnungsphase hatte er seine Beute bereits erlegt, gehäutet und sich das Fell übergestülpt, so daß er nun selbst
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