Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
»Ambrosius, mit dem ihr, wie er erzählte, freundschaftlich verbunden seid, und meine Wenigkeit haben in der Zwischenzeit einige Untersuchungen angestellt und sind zu recht irritierenden Ergebnissen gekommen. Allem Anschein nach gibt es keinen einzigen Zeugen, der den verrückten Hugo und die Dogge bei ihrem bestialischen Treiben jemals beobachtet hat. Doch selbst die Existenz der beiden Übeltäter ist höchst umstritten. Ein aufgewecktes Kerlchen deutete an, irgend jemand veranstalte eine raffinierte Maskerade, um eine Legende zu schaffen. Der Grund ist mir allerdings schleierhaft.«
»Wer deutete das an?«
Die Greisin blickte mit ihren schwachen Augen belustigt in die Menge ihrer Töchter, Enkelinnen und anderer Verwandtinnen, als wolle sie sich ihrer Mithäme versichern. Und wie auf ein verabredetes Signal erschien auf allen Gesichtern ebenfalls unverhohlener Spott. Alles, was ich sagte, schien sie unheimlich zu amüsieren.
»Ihr werdet es mir nicht glauben, aber diese Meinung vertritt eine Waldspitzmaus ...«
»Zaches!« rief sie heiter aus und schüttelte gespielt resigniert den Kopf, als sei ich ein Debiler, der auf die Frage nach dem Wetter mit »Donnerstag« geantwortet hätte. »Merkwürdig, daß ihr überhaupt ins Gespräch kommen konntet mit diesem neunmalklugen Stinker. Er gilt hierzulande nämlich als der durchtriebenste Mäuserich und konnte uns bis jetzt immer entwischen. Normalerweise macht er einen Riesenbogen um unseresgleichen. Er muß ganz schön in der Klemme gesteckt haben, wenn er sich zu einem Plausch mit euch überreden ließ.«
»Ich muß gestehen, daß Freund Ambrosius kurz davor stand, mit ihm einen kleinen Tierversuch zu starten, als Zaches diese Aussage machte.«
»Aha, jetzt kommen wir der Sache schon näher. Hat dir denn deine Mutter nicht erzählt, daß Mäuse die geborenen Lügner sind und alles tun würden, um ihre Haut zu retten, Francis? Urteile selbst: Was sind die Worte einer Spitzmaus wert, die in den Fängen zweier Mäusetöter gefangen ist und plötzlich die Gelegenheit erhält, den Tod durch eine phantasievolle Zeugenaussage aufzuschieben? Du bist einem Schwindler auf den Leim gegangen, mein Sohn. Wenn du die Wahrheit erfahren willst, dann hör gut zu. An dem Tod von Alraune sind wir nicht ganz unschuldig. Jahrelang haben wir uns nämlich um unsere eigenen Belange gekümmert und uns mit der Betrachtungsweise selbst etwas vorgemacht, daß die Natur keine Fehler begeht. Wie alle Lebewesen des Waldes hielten wir auch den Schwarzen Ritter für einen nützlichen Teil des Ganzen, der einfach eine Nische gefunden hat, und sei diese Nische auch noch so fragwürdig. Ich selbst war der Hauptpropagandist dieser Idee. Solange der schwarze Teufel uns in Ruhe läßt, dachten wir, kann er tun und lassen, was er will. Wir zeigten sogar Verständnis für sein Mörderhandwerk, weil wir deine Art, Francis, verachteten. Neid war da im Spiel und unendliche Arroganz. Nun muß ich erkennen, daß ich alt geworden bin, ohne weise geworden zu sein. Denn für unsere Kurzsichtigkeit mußten wir bitter büßen. Erst letzte Nacht, als ich erfuhr, unter welchen Qualen meine Tochter sterben mußte, ging mir auf, daß eine von Menschenhand schon längst zerstörte Natur nicht nur einzelne Fehler machen kann, sondern sie am laufenden Band produziert. Unser täglicher Kampf um das bißchen übriggebliebene Wild ist der beste Beweis. Doch als Alraune uns deine Anklage vortrug, lachten wir sie nur aus, und sie lief wütend weg. Dabei muß uns das Ungeheuer belauscht haben. Und indem es Alraune metzelte, wollte es nicht nur dich von seiner Allmacht überzeugen, sondern auch uns.«
»Klingt vernünftig«, sagte ich und legte mich ebenfalls hin, weil Erschöpfung und bohrende Hungergefühle an meiner Substanz zu nagen begannen. »Aber die Ungereimtheiten um diese Gestalt oder besser um diese beiden Gestalten sind derart erdrückend, daß trotzdem starke Zweifel an der Legende angebracht sind. Ich wette, ich könnte noch jahrelang durch diesen Wald irren und würde den Schwarzen Ritter und seine Dogge immer nur hinter meterdicken Nebelschwaden sehen. Laut mehrerer Zeugenaussagen jedenfalls scheint das die Regel zu sein.«
»Nicht bei uns«, entgegnete die Alte und hatte wieder diesen erhabenen Ausdruck. »Wir sind ihnen oft ganz aus der Nähe begegnet - und wir wissen auch, wo der Schwarze Ritter sich gegenwärtig befindet!«
Wie von einer Natter gebissen, schnellte ich wieder auf die Pfoten und glotzte
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