Felidae 4 - Das Duell
ich mich der Illusion hingegeben, diese Stelle der Mauer sei aus irgendeinem Grund vom Schnee verschont geblieben und erzeuge so die optische Täuschung eines herumliegenden Gegenstands. Aber je mehr ich mich ihr näherte, desto deutlicher wurde ich dieser Hoffnung beraubt. Ich spürte immer eindringlicher, was sich dort befand, und doch weigerte ich mich bis zuletzt, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Bis die häßliche Wahrheit mir ins Gesicht blickte.
Die Bombay mit ihren safranfarbenen offenen Augen, ihrem pechschwarzen, wie Lackleder glänzenden Fell und muskulösen Leib lag quer über der Mauer wie ein bizarrer Wegweiser. Schneeflocken umschwirrten sie gleich exotischen Fliegen. Auf den ersten Blick wies sie keinerlei Verletzungen oder Wunden auf. Aber als ich mich getraute, über sie hinwegzusteigen und ihren Kopf unter die Lupe zu nehmen, sprang mir etwas wirklich Groteskes ins Auge. Aus dem Maul der Unglücklichen trat ein halb verdauter Naßfutterstrahl hervor und erstreckte sich in einer fast kunstvollen Schlangenlinie noch zirka einen Meter weit. Es sah so aus, als habe sie vor ihrem Tod ihre letzte Mahlzeit erbrochen, dabei jedoch peinlich darauf geachtet, daß das Ganze ästhetisch aussah. Selbst für ein Kind war klar, daß die Bombay vergiftet worden war .
Entsprach das der Wahrheit, war Vergiftung tatsächlich die Todesursache? Durch die Fehleinschätzungen bei meinem letzten Fund vorsichtig geworden, wollte ich ein endgültiges Urteil erst fällen, nachdem ich alles genau untersucht und aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet hatte. Das hört sich nach einer langwierigen Aktion an, doch tatsächlich dauerte es lediglich ein paar Sekunden, bis ich eins zum anderen gefügt und das morbide Bilderrätsel gelöst hatte.
Zunächst einmal gebot es die simple Logik, davon auszugehen, daß die Bombay nur ein paar Minuten vor meinem Eintreffen gestorben war. Wäre zwischen dem Todeszeitpunkt und meiner Entdeckung mehr Zeit vergangen, hätte der Sturm die Leiche längst unter einer Schneeschicht begraben haben müssen. Demnach mußte der Körper noch warm, vor allem aber geschmeidig sein. Ich drückte eine Pfote gegen die Bauchgegend der Bemitleidenswerten und erlebte eine Überraschung. Sie war knochenhart beziehungsweise steif gefroren. Ergo lag der wahre Todeszeitpunkt lange, vielleicht sogar Stunden, ja Tage zurück. Sie mußte von jemandem hierher transportiert worden sein. Es war schon merkwürdig genug, daß man eine eisige Leiche durch die Gegend schleppte, um sie dann auf einer Mauer zu plazieren. Noch merkwürdiger war es jedoch, daß man allem Anschein nach mir, dem Versagerdetektiv, die Rolle des Finders zugedacht hatte. Denn außer mir war weit und breit niemand unterwegs.
Das Allermerkwürdigste aber stellte ein anderes Detail dar: der aus dem Maul der Bombay austretende und sich durch den Schnee schlängelnde Futterstrahl. Ich tupfte kurz den Pfotenballen hinein und erlebte die nächste Überraschung. Der Brei war noch lauwarm! Ich erschauerte, denn nun gab es keinen Zweifel mehr, daß zwischen der Leiche und de m Erbrochenen nur insofern eine Verbindung existierte, als daß sie Dekorationselemente zu einem arrangierten Bild waren.
Anhand dieser Merkmale rekonstruierte ich den Tathergang im Geiste; Jemand hatte die Bombay ermordet. W a nn genau und wie – ungewiß. Jedenfalls mußte das ein Weilchen her sein. Es brauchte schon seine Zeit, bis ein Organismus steif fror. Auch wenn man ihn beispielsweise in eine Tiefkühltruhe legte! Die Todesursache gab ebenfalls Rätsel auf, da an der Leiche nicht einmal ein Kratzer zu sehen war. Vergiftung schien die wahrscheinlichste Ursache, aber quellten bei dieser Art Todeskampf nicht die Augen des Opfers über? Die Selige neben meinen Pfoten machte eher den Eindruck, als wäre sie friedlich entschlafen.
Wie auch immer, der Mörder hatte es aus Gründen, die allein Gott und dieser kranke Geist kannten, für notwendig befunden, sein Opfer erst einmal einzufrieren. Danach holte er es wieder aus dem Eis und trug es durch die Gärten. Er sah mich von weitem kommen und legte die Leiche kurz, bevor ich eintraf, auf meinem Weg ab. Er wollte, daß ich sie finde, genauso wie ich den Strangulierten finden sollte, der ja ebenfalls eingefroren worden war, ehe man ihn aufhängte. Bevor der Mörder weglief, schritt er noch zu einer ziemlich unappetitlichen Tat: Er würgte halbverdautes Futter in den Schnee, so kunstvoll, daß es wie aus dem Maul der Toten
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