Felidae 4 - Das Duell
Nachthemd, ihre Füße waren nackt, und die Schneeflocken verwandelten sie ganz allmählich in eine frostige Mumie. Ihr von der Chemotherapie kahl gewordener Kopf hing schlaff herunter, und ihr unendlich müder Gesichtsausdruck verriet, daß sie dieses Ende irgendwie gutgeheißen hatte.
Ich umkreiste sie einmal, konnte jedoch nicht auf Anhieb feststellen, woran sie gestorben war. Daraufhin sprang ich ihr auf den Schoß und dann auf die linke Schulter. Diesmal genügte ein Blick auf ihren Rücken. Unter ihrem Hals klaffte ein kleines blutiges Loch, als hätte man dort eine besonders eklige Warze ausgedrückt. Sie war regelrecht hingerichtet worden, mit einem Genickschuß! In meinem Gehirn dröhnte es wie nach einem ohrenbetäubenden Paukenschlag, und ich riß den Kopf in Richtung des Glashauses. Was war mit Dr. Gromyko, mit Adrian und den anderen? Was hatte man mit ihnen angestellt ?
Das heimelig beleuchtete Gebäude bildete den denkbar stärksten Kontrast zu meiner derzeitigen Gefühlslage. Doch ich wußte, daß sich das Entsetzen dort drinnen fortsetzen würde. Ich sprang von der Leiche herunter und schlich mich zu dem Lichtgebilde. Dabei ging mir durch den Kopf, daß jede Verstorbene ein kleines Gebet verdient hatte, auch eine so üble Sünderin wie Agatha. Andererseits hatten einige Zeitgenossen ihr Seelenheil dermaßen verspielt, daß auch das frommste Gebet sie nicht mehr vom Ort der Verdammnis loseisen konnte. Sorry, Agatha, dachte ich, es gibt Fälle, da ist Beten wirklich reine Zeitverschwendung …
Wie nicht anders zu erwarten, standen die Panoramafenster im vorderen Bereich offen. Als ich auf der Terrasse angelangt war, bot sich mir das Erdgeschoßinnere wie auf dem Präsentierteller dar. Das auf wohlige Wärme hindeutende Dämmerlicht hielt nicht, was es versprach. Hier drin herrschte die gleiche eisige Temperatur wie draußen. Die Dunkelmänner, welche die Reicher-Wohnen-Idylle jäh zerstört hatten, mußten demnach seit Stunden weg sein. Und was seine eigentlichen Luxusaccessoires betraf, hatte sich der Ort vollständig verändert. Sämtliche Artgenossen, die noch am Nachmittag auf den Nepalteppichen gedöst und sich unter Jugendstilleuchten gerekelt hatten, waren wie vom Erdboden verschluckt. Einen von ihnen vermißte ich besonders schmerzlich. Diesmal sah es wirklich nicht danach aus, als würde im nächsten Augenblick ein eitler rothaariger Dandy die Wendeltreppe herabsteigen und mir mit seinen spöttisch-arroganten Bemerkungen auf den Geist gehen. Auch Adrian war verschwunden!
Ich betrat den Raum und wandelte eine kleine Weile umher. Dabei fielen mir zwei Dinge auf, welche die ganze Angelegenheit noch unheimlicher machten. Zunächst die penible Ordnung: Obwohl im Park eine Leiche frische Luft schnappte, also die Räume Spuren eines Verbrechens, gar der Verwüstung hätten aufweisen müssen, beeindruckten sie durch eine geradezu zwanghafte Aufgeräumtheit. Ich konnte mich täuschen, doch glaubte ich mich erinnern zu können, daß es hier am Nachmittag weniger ordentlich zugegangen war. Zum zweiten wies nichts mehr auf den Aufenthalt von über dreißig Spitzohrigen hin. Zwischen den Teppichfasern steckte kein einziges Härchen, kein abgestoßenes Krallenhäutchen war auf den Pitchpine-Böden zu entdecken. Und als ich die Küche aufsuchte, sah ich, daß auch sämtliche Futter- und Wassernäpfe verschwunden waren, vermutlich ebenso die Futterdosen aus den Schränken.
Kein Zweifel, hier hatte eine Reinigungskolonne akkurat ihren Dienst versehen und selbst die kleinste Spur einer Tierhaltung ausradiert. Folgerichtig dürften in Gromykos Büro auch keine Dokumente mehr über das Asienabenteuer zu finden sein. Ich lief zur Wendeltreppe und kletterte zum zweiten Stockwerk hoch.
Der Anblick der zweiten Leiche schockierte mich nicht mehr so sehr, weil ich damit gerechnet hatte. Dr. Gromyko befand sich vor seinen drei Computermonitoren, den Oberkörper auf den Glasschreibtisch gelegt. Der Glatzkopf mit den aufgerissenen Augen schwamm in einer Blutlache, die ich von unten durch das Glas sehen konnte und die den Eindruck vermittelte, als handelte es sich um eine knallige Schreibtischunterlage. Agathas Helfershelfer hielt in seiner rechten Hand einen Revolver, dessen Lauf auf das faustgroße Loch in seiner Schläfe zielte. Das Blut tröpfelte in steter Regelmäßigkeit über den Rand des Tisches auf den Fußboden, wo sich schon eine kleine Pfütze gebildet hatte.
Die Meßinstrumente neben dem Tisch,
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