Felidae 4 - Das Duell
Ahnungen waren Wirklichkeit geworden. Die Bewohner des Glashauses waren in die zahlreichen Käfige gesteckt worden, die ich von meinem ersten Besuch her kannte und die nun wie Gepäckstücke vor dem Check-in-Schalter in Zweierreihen aufgestellt waren. Ganz vorne in der Schlange erblickte ich Adrian. Im Gegensatz zu den anderen, die ihrer Angst freien Lauf ließen, saß er still in seinem Käfig und schaute mit leerem Blick vor sich hin. Meine Augen weiteten sich vor Bestürzung, als ich sah, wo die makabre Schlange endete: am Operationstisch des provisorischen Krankenhauses! Allein der Riesenkäfig mit der goldenen Plakette am oberen Rand, die den eingravierten Namen MAX trug, stand leer. Sohnemann war wie üblich außer Haus.
Die drei verbliebenen Skimaskenmänner hatten sich in der Zwischenzeit auf ihren richtigen Beruf besonnen und sich Ärztekittel übergestreift und Gummihandschuhe angezogen. Dennoch sah es nicht danach aus, als würde die Nachtschicht, die sie in Kürze anzutreten gedachten, irgendeiner Art von Heilung dienen. Ich hatte also auf traurige Weise recht behalten: Das defekte Tiermaterial würde jetzt eingeschläfert werden, um es anschließend verschwinden zu lassen.
Auch Fabulous, der gute Geist dieses grundschlechten Hauses, war ein Opfer – wenn auch auf ihre Art. Die Tiffany-Dame steckte weder in einem Käfig, noch schien sie für die Einschläferung vorgesehen zu sein, dennoch durchlitt sie eine noch grausamere Qual. Sie mußte zusehen, wie Dutzende ihrer Artgenossen grausam umgebracht wurden. Die Szene erinnerte mich fatal an ihre Mär von den asiatischen Todeslagern, wo man den Artgenossen angeblich unter den Augen der Mitgefangenen das Fell über die Ohren zog. Die wuschelhaarige, zobelbraune Schöne lief weinend vor den Käfigen auf und ab, steckte die Pfote und die Schnauze durch die Gitter und versuchte die Todeskandidaten zu beruhigen und zu trösten. Ich sperrte mich gegen die Vorstellung, wie sie je mit den bösen Erinnerungen fertig werden wollte, wenn sie weiterhin an diesem verfluchten Ort und bei diesen Monstern von Besitzern leben mußte. Denn es lag auf der Pfote, daß man sie nicht in einem Aufwasch mit den anderen meucheln wollte. Sie barg das Geheimnis in ihrem Erbgut, das es bei der weiteren Erforschung von MAX01 zu entschlüsseln galt.
Wenn man das Horrorszenario auf der rechten Seite des Ziegelsteinbaus auszublenden versuchte, erschien einem der Ort wie gewohnt als ein Hort der Behaglichkeit. Das warme Licht der Deckenlampen, die von der Stahlkonstruktion herabbaumelten, traf auf dem Parkettboden als große Kreise mit unscharfem Rand auf. Hinter den riesigen Rundbogenfenstern erstrahlte die Silhouette unseres im Schneegestöber versunkenen Viertels; ganz in der Ferne das Glashaus, das ein bißchen heller leuchtete als die anderen Gebäude.
Die Illusion des harmonischen Gleichklangs setzte sich fort, wenn man den Kopf nach links schwenkte und in einiger Entfernung den Hausherrn beim Verzehren seines Abendmahls bewunderte. Maximilian Hutchkins hatte sich hinter seinem marmornen Schreibtisch niedergelassen, vor sich einen kostbaren Teller mit Goldrand, und speiste – ausgerechnet Salat. Fleisch war wohl nicht seine Sache, obwohl er doch damit die Welt erobern wollte. Er hatte sich wieder den bis zum Boden reichenden scharlachroten, samtenen Morgenrock übergezogen, der ihm das Aussehen eines gemütlichen Alten verlieh. Das von tiefen Falten gezeichnete Gesicht, die scheinbare Güte darin und die Silbermähne hätten tatsächlich hervorragend zu einem Großvater gepaßt, der seinen Enkeln an beschaulichen Winterabenden wie diesem Weihnachtsmärchen erzählt. Die kalten, graublauen Augen aber sprachen eine andere Sprache und verfolgten ohne auch nur den Anflug eines Mitgefühls das reale und bestialische Märchen vor ihm. Die Wolpertinger auf dem Schreibtisch umringten ihn wie geschändete Fabelwesen, während der in die Längsmauer eingelassene Kamin mit seinen lodernden Baumstämmen ihm den Rücken wärmte.
Die Ärzte bereiteten jetzt alles vor für den letzten Gang der unerwünschten Zeugen. Während einer der Weißkittel sich zu einem der vorderen Käfige beugte, die Tür aufsperrte und mit routiniertem Zangengriff einen verängstigten Artgenossen herauszerrte, begaben sich die anderen zwei zum Operationstisch. Sie schalteten die Leuchten ein, öffneten einen chromfarbenen medizinischen Schrank und entnahmen ihm ein Tablett voller Spritzen und Ampullen. Die
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