Felidae 4 - Das Duell
gegenseitig stachen. Wildwucherndes Gestrüpp am Fuße der Stämme hatte sich derart ausgebreitet, daß es wie in einem Urwald eine Art Unterbau bildete. Durch den Schneemantel erschien es atemberaubend romantisch, wie die Bühnendekoration eines Weihnachtsmärchens. Der Eigentümer des Grundstücks mußte entweder vollkommen pleite sein, so daß er sich nicht einmal ein paar Schwarzarbeiter fürs botanische Großreinemachen leisten konnte, oder er hing einem Naturideal nach, demzufolge bereits das Abzupfen eines verblühten Blatts einem Mord gleichkam.
Ich glaubte mich dunkel an dieses Stück Land zu erinnern, das ich bei meinen früheren Ausflügen gestreift hatte. Doch mehr als ein vages Bild von einer grünen Hölle im Sommer gab meine Erinnerung nicht her. Was hatte so ein feiner Pinkel wie Adrian hier zu suchen? Spielte er für einen Irren, der sich für den Förster der Großstadt hielt, den Jagdhund? Oder trieb er, wie von Gustav und seinen Gesinnungsgenossen von unseresgleichen verlangt, um diese Uhrzeit noch ein bißchen Hard-core-Jogging?
Ich kletterte die Mauer hinab und kroch ins Unterholz. Die Bäume und das allgegenwärtige Buschwerk dienten mir jetzt als Überdachung, die mich vor dem Schneefall verschonte. Ich befand mich in einer labyrinthischen, düsteren Höhle. Mir wurde allmählich ziemlich mulmig zumute in dem ganzen Wirrwarr der Äste, Stämme und welken Blätter, wiewohl meine Augen auch dort noch ein Fitzelchen Restlicht hervorzukitzeln vermochten, wo menschliche nur noch schwarz sahen. Mehr und mehr beschlich mich die Befürchtung, daß Adrian mich vielleicht absichtlich an diesen abgeschiedenen Ort gelockt haben könnte, um – ja, warum eigentlich? Obwohl mir dafür kein vernünftiger Grund einfiel, verstärkte sich meine Panik. Und nicht zuletzt war da immer noch die frische Erinnerung an das Phantom, das Monster oder wie man es auch immer nennen mochte, seine glühend weißen Augen, scharf wie Rasierklingen, seine halb tierischen, halb menschlichen, phänomenal flinken Bewegungen und seine undeutliche Schattengestalt, die an ein Wesen aus dem Herz der Finsternis erinnerte. Was würde geschehen, wenn es nun plötzlich um die Ecke böge? Die Tatsache, daß man jemanden verfolgte, hieß nicht unbedingt, daß man dabei nicht gleichzeitig selber verfolgt wurde.
Mein Herzklopfen wurde starker und stärker, wie auch die Fragen in meinem Kopf immer bohrender wurden. Was machte ich hier eigentlich in diesem klammen Untergrund, wo wahrscheinlich gleich hinter dem nächsten Baum ein Psychopath auf mich lauerte? Wieso wollte ich einem dahergelaufenen Schönling nachspionieren? Und das Allerwichtigste: Was gab es bei Gustav heute abend zu fressen? Die letzte Frage stellte übrigens mein schon vor lauter Hungerqual schreiender Magen.
Als hätte meine Furcht den realen Schrecken heraufbeschworen, glaubte ich nun auf einmal auch noch beunruhigende Geräusche um mich herum zu hören. Ein leises Knacken und Kratzen, als streiften irgendwelche Gestalten durch das Geäst. Natürlich konnte diese Wahrnehmung eine harmlose Ursache haben. Denn bekanntlich arbeitet nicht nur ein Holzbalken, sondern auch ein ganzer Wald, so daß derartige Begleitgeräusche unausbleiblich waren. Einerseits machte ich mir selbst Mut, indem ich das Gehörte als normal abtat, andererseits wurde ich das Gefühl nicht los, daß ich an diesem unheimlichen Ort nicht der einzige Kreuchende und Fleuchende war.
Plötzlich sah ich Licht am Ende des Tunnels! Erst diffus, dann zunehmend klarer, größer und größer werdend. Der Wald en miniature lichtete sich allmählich. Die Weißtannen und Rotfichten verlängerten den Abstand zueinander, bis sie schließlich gänzlich verschwanden. Der Gestrüppteppich wurde immer durchlässiger und endete vor einer zugeschneiten Rasenfläche mit einigen Pyramidenbäumen. Im Zentrum ragte ein riesenhaftes Gebilde in den stürmischen Himmel, das meine lichtentwöhnten Augen im ersten Moment für ein havariertes UFO hielten, Lichter unterschiedlicher Intensität bombardierten meine Netzhäute, bis das ganze Gefunkel sich nach und nach zu einem Ganzen zusammenfügte. Es war kein festlich geschmückter Christbaum von King-Kong - hafter Dimension, den ich mit heruntergeklapptem Unterkiefer vor mir erblickte, sondern ein Bau, für den das Wort »modern« ziemlich untertrieben wäre.
Es war eindeutig, daß es sich hier um das Werk eines Stararchitekten handelte, der sich nach dem Motto »Geld spielt keine
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