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Felidae 4 - Das Duell

Titel: Felidae 4 - Das Duell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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ist.«
    Er erhob sich wieder, und sein Blick verlor sich zwischen den wirbelnden Schneeflocken. Ich bemerkte, daß ihm die Schultern nach unten hingen wie die Wachswülste einer heruntergebrannten Kerze. Die Haare hatten sich stark gelichtet, kahle Stellen auf der Kopfhaut traten hervor. Das von einer pergamentartigen Haut zusammengehaltene, mit Altersflecken übersäte Gesicht wies so viele Runzeln auf, daß es wie Knetmasse aussah, mit der ein Kind zu lange herummodelliert hatte. Die ganze erbärmliche Erscheinung würde nun nicht einmal mehr für das Anpreisen von Altersinkontinenzwindeln taugen. Der Kerl war innerhalb von Minuten zum Greis geworden. Allein die Aug ä pfel hatten diesem rapiden Alterungsprozeß getrotzt, strahlten übernatürlich wie eh und je und wirkten wie aufgeklebte Fremdkörper.
    »Was vom Leben übrigbleibt, lieber Francis, sind lediglich ein paar schöne Erinnerungen, nur wenige Stunden, vielleicht sogar nur Minuten des Glücks. Die unglücklichen wandern mit in den Orkus – hoffe ich jedenfalls! Aber was ist, wenn das Altern nur einige Atemzüge währt und keine Zeit bleibt für das Sammeln von glücklichen Momenten? Was ist, wenn das Leben im Zeitraffer an dir vorbei rauscht und dein Körper ebenfalls in dieser teuflischen Geschwindigkeit verfällt? Vorzeitige Vergreisung, sagt dir das etwas? Ist das überhaupt noch ein Leben? Und was sind das für grausame Götter, die ein derart kurzes Leben erschaffen und dulden? Sieh her ...«
    Er streckte einen Arm aus und wandte sich halb zur Seite. Dann vollführte er eine ausladende Bewegung, die an einen Conférencier aus dem Varieté erinnerte, und beschrieb mit der Handkante einen imaginären Riß in der Luft. Als gehörten die rieselnden Schneeflocken zum Muster eines sich öffnenden Vorhangs, wichen sie zur Seite und gaben die Sicht auf eine riesige Eishöhle frei. Alles darin leuchtete bläulich, und Sternchen blitzten an Wölbungen und Kuppen auf. Der Boden war mit Eishöckern gespickt, und darauf saßen atemberaubend schöne junge Männer und Frauen. Sie waren splitternackt, die Körper wie mit dem Bildhauermeißel geformt, die Frisuren wie von Starfigaros gestaltet, offenkundig kamen sie ebenfalls aus der Modelbranche. Es fehlte mir noch Helmut Newton, der irgendwo mit der Kamera lauerte. Der einzige Wermutstropfen in diesem beeindruckenden Tableau: All diese liebreizenden Menschenkinder besaßen einen bekümmerten Gesichtsausdruck, als würden sie ihren eigenen Tod betrauern.
    Noch etwas anderes fiel mir sofort auf, nämlich ihre Anzahl. Wenn ich mich nicht täuschte, entsprach diese exakt der der Artgenossen in Agathas Glashaus. Ja, die Schönlinge symbolisierten jene Brüder und Schwestern. Trotz meiner Verblüffung schwirrten mir Fragen durch den Hinterkopf. Warum diese Ersetzung von Mensch und Tier? Wieso verwandelte die Traummaschinerie meine Artgenossen ausgerechnet in Schönheitsidole der Zweibeiner? Die Show ging jedoch weiter, ohne daß auch nur der Ansatz einer Antwort gefunden wäre.
    »Was für eine Verschwendung!« rief der greise Dressman und stand plötzlich inmitten der Nackten. »Was für eine Verschwendung an Lebensmaterial! Schau sie dir an, Francis, schau sie dir nur an, wie schön sie sind und wie jung. Sie haben das ganze Leben noch vor sich. Und doch ...«
    Er spreizte erneut mit der theatralischen Geste des Conf é renciers die Arme und zeigte auf die stummen Trauerklöße. Diese wurden anscheinend im Nu von dem gleichen Virus befallen, das den Conf é rencier selbst bereits so furchtbar entstellt hatte. Eben noch die Vollendung menschlicher Anmut, begannen auch sie mit einem Male in Lichtgeschwindigkeit zu altern. Die Haut ihrer Gesichter und Körper geriet in Bewegung, als würden darunter Würmer wuseln. Am Anfang gab es noch wenig Beunruhigendes zu entdecken. Im Gegenteil, man sah, wie die jungen Männer und Frauen sich nach und nach zu reifen Menschen entwickelten, ihre frühere Grazie weiterhin beibehielten; in der »Lebensmitte« wirkten sie durch die schärfer gewordenen Gesichtszüge sogar noch attraktiver als in ihrem Lenz.
    Dann aber setzte der Verfall mit der Gewalt einer Naturkatastrophe ein. Einige Schönlinge gingen auseinander, ihre markanten Konturen zerflossen zu Fettwülsten und asymmetrischen Wölbungen. Andere wiederum verwandelten sich immer mehr in gerippeartige Gestalten. Die ehemals so drallen Brüste der Frauen schrumpften und verkümmerten zu häßlich herabhängenden Lappen, als

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