Felidae 4 - Das Duell
daran, daß ich mir das Abendessen bei Gustav nun wohl endgültig abschminken konnte. Danach nur noch Finsternis, Finsternis, o du wohltuende, alles erlösende Finsternis ...
4.
D ie Finsternis wollte nicht weichen. Es brodelte in meinem Kopf, zuweilen schimmerten Blitze ganz fern wie die Arterien eines transparenten Wesens, und manchmal schoß grelles Licht von der Seite, brach sich wie durch ein Prisma in Spektralfarben und verschwand wieder auf der anderen Seite. Aber die Finsternis blieb, blieb noch für lange.
Dann plötzlich kam die Helligkeit mit der Wucht einer Explosion und füllte den gesamten Horizont. Meine Augen schmerzten. Je mehr der Schmerz nachließ, desto deutlicher sah ich, daß auf dieses augenblendende Nichts ein Schneegestöber niederging, als reiche das vorhandene Weiß im Überfluß nicht aus. Noch heller als alles, was meine sich allmählich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnenden Augen erblickten, waren aber die grell leuchtenden Augäpfel, die in dem Schneeschauer ganz langsam auftauchten und sich näherten – und mir so verdammt bekannt vorkamen. Sie gehörten dem Phantom, das mich hinter dem Gebüsch beobachtet hatte, während ich den Strangulierten untersuchte. Jetzt also würde mir das fragwürdige Vergnügen zuteil werden, es kennenzulernen.
Die überhellen Glubscher mit capriblauer Iris kamen immer näher, und nach und nach bildete sich auch der Rest des Gesichts umrißhaft ab. Endlich zeigte sich die ganze Gestalt, und ich stand einem umwerfend attraktiv aussehenden Mann in einem exquisiten Anzug gegenüber. Er glich einem Dressman in etwas vorgerücktem Alter, der einem wegen seines Graue-Schläfen-Mankos zwar kaum mehr aus hippen Modemagazinen entgegengrinst, aber sein Gnadenbrot als Model für die Katalogwerbung für Versandhäuser erhält. Solche Burschen werden irgendwie nie alt, sondern reifen wie guter Wein. Markant, sonnengebräunt, das scharf geschnittene Gesicht von maskulinen Fältchen überzogen. Was die Sache jedoch so irreal machte, waren diese wie von innen beleuchteten, klaren Augen, die gleichsam sich selbst zu karikieren schienen.
Natürlich wußte ich, daß das alles nur ein Traum war. Denn selbst so unwirkliche Figuren wie angejahrte Dressmen liefen nicht in Spitzenanzügen und tadellos gebundenen Krawatten in arktischem Schneegestöber herum. Und natürlich wußte ich auch, daß sich in dieser Traumgestalt in Wahrheit eigene Besorgnisse spiegelten, die sich vermittels der Traummaschinerie in kostümierter Form ein Ausdrucksventil suchten.
In dem herben Gesicht des Phantommannes stand eine bodenlose Traurigkeit, die völlig echt wirkte, die offenbarte, was dieser Mensch trotz seiner äußeren Schönheit in seinem Innern war: ein Wesen ohne jegliche Freude. Er machte vor mir halt und lächelte mich an. Aber auch dieses Lächeln war nur eine Geste der Höflichkeit, durchdrungen von Schwermut .
»So sieht man sich wieder, Francis«, sagte der traurige alte Dressman. »Und wir werden uns noch öfter sehen, mein Freund, darauf kannst du dich verlassen. Denn du bist der Schlüssel aus meinem Dilemma. Du bist meine Rettung, wenn du so willst – unser aller Rettung.«
Er kniete sich zu mir herunter und tätschelte mir zärtlich den Kopf. Als ich zwischendurch zu ihm aufschaute, kam es mir so vor, als wäre er inzwischen noch ein bißchen mehr gealtert. Er hätte jetzt nur mehr Reklame für eine Haftcreme für die sogenannten dritten Zähne machen können. Der schicke graumelierte Farbton der Schläfen und vereinzelter Haarsträhnen war verschwunden. Die Frisur und die buschigen Augenbrauen wurden von einem verwaschenen Grau bestimmt, das an einigen Stellen ins Schlohweiße überging. Die einst so charmanten Fältchen hatten sich vermehrt und waren groben Falten gewichen. Kein Zweifel, der Dressman alterte rasend schnell.
»Dich beschäftigt das Alter und dein eigenes Altern, nicht wahr, Francis?« sagte er und sah melancholisch drein. »Niemand kann solche trüben Grübeleien besser verstehen als ich. Denn das Schlimmste am Alter ist doch, daß man noch jung ist. Verstehst du, was ich damit sagen will?«
»Ja«, antwortete ich und zitierte meinen geliebten Schopenhauer: »Wenn man auch noch so alt wird, so fühlt man doch im Innern sich ganz und gar als denselben, der man war, als man jung, ja, als man noch ein Kind war. «
»Stimmt genau. Und man muß alt geworden sein, also lange gelebt haben, um zu erkennen, wie kurz das Leben
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