Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
Aufnahmen eines wohlgeformten Felidae-Schädels, von dem ich vermutete, dass er meiner war. Umso besser, das ungemütliche Prozedere des Geröntgtwerdens hatte ich demnach sozusagen im Schlaf bewältigt. Offen gestanden konnte ich an den Bildern meines durchleuchteten, aus dem finsteren Hintergrund geisterhaft fahl hervorragenden Hauptes auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches finden. Alles schien noch dran zu sein, sogar der falsche Reißzahn aus Kunststoff, den mir vor Urzeiten ein Zahnarzt eingesetzt hatte, hob sich von den übrigen deutlich ab. Doch deshalb absolviert man ja wohl ein Medizinstudium – um eben mit geübtem Auge die für den Laien unsichtbare, in Wirklichkeit jedoch tödliche Gefahr zu diagnostizieren. Unaussprechliche medizinische Begriffe flogen mir bange
durch den Kopf, die ich aus irgendwelchen Gesundheitssendungen im Fernsehen aufgeschnappt hatte.
Der Doktor besah sich jede einzelne Aufnahme konzentriert und durch halb zugekniffene Augenlider und machte immer wieder ein »Ts-ts …« O Gott, war es denn so schlimm? Schließlich wandte er sich von den Bildern ab und meinte zu Gustav, dass ich dringend operiert werden müsse. Leider konnte ich nicht jedes seiner Worte verstehen, da meine Konzentration durch die Wirkung des Schmerzmittels starken Schwankungen unterlag. Nur so viel konnte ich heraushören: Irgendein Abschnitt meiner Schädeldecke hatte sich bei dem Unfall eine Delle eingefangen, wodurch das Hirn etwas gequetscht worden ist. Zudem glaubte er, eine Anomalie im vorderen Schädellappen entdeckt zu haben, die ihm bis jetzt bei keinem meiner Art untergekommen war. Da musste auch draufgeguckt werden.
Na wunderbar, ich würde den Rest meiner Tage als hirnzermanschter Zombie verbringen! Denn was sollte schon anderes dabei herauskommen, wenn einem der Schädel geöffnet, darin herumgezerrt und anschließend auch noch am vorderen Stirnlappen rumgeschnippelt würde? Konnte mir doch keiner erzählen, dass man danach wieder ganz der Alte war. Allerdings hatte ich ja bisher ein schönes Leben gehabt und war älter geworden, als ich es mir je erträumt hätte. Ich sah mich bereits demnächst in unserem hübschen Garten mit sabberndem Maul auf der Wiese hocken und mit debilem Gesichtsausdruck stumpf ins Leere stieren. Hin und wieder rollte mich meine kleine Familie vielleicht durch die Gegend, damit nicht irgendein Teil von mir einschlief. Ach, bitte Vorsicht mit dem aus meinem
Bauch wachsenden Schlauch für die intravenöse Nahrungsaufnahme! Oder gab es da gar derer zwei, damit dieselbe Nahrung verdaut wieder ausgeschieden werden konnte?
Mal ehrlich, wollte ich bei dieser deprimierenden Aussicht überhaupt noch weiterleben? Das Einzige, was seit jeher mein eigentliches Ich ausgemacht hatte, war mein quirliger Geist gewesen. Er hatte mir stets als ein Anker in tosender See gedient, war eine stille Klause gewesen, in die ich mich immer zurückziehen konnte, wenn draußen der Sturm tobte. Auch wenn alles schiefging, ich hatte mich immer darauf verlassen können, dass ich zumindest am Jonglieren der Gedanken Freude und darin Trost finden konnte. Und wenn der Tanz der Gedanken, das Denken überhaupt einfach so aufhören würde, was bliebe dann von mir übrig? Nur noch das bisschen zuckende Fleisch und ein paar Knochen unter dem falschen Etikett Francis? Trotz des Drogen-Highs spürte ich einen Kloß im Hals.
Da war natürlich noch die Frage der Schuld. Wer war schuld an der Katastrophe? Dumme, zu denen auch ich bald gehörte, würden wie aus der Pistole geschossen »Sancta!« rufen. Denn wegen ihres Leichtsinns war ich doch überhaupt in diesen Schlamassel geraten. Entsprach das aber der Wahrheit? Mitnichten! Irgendeine andere Entscheidung irgendwann am heutigen Tage hätte ein anderes Resultat gebracht. Vorausgesetzt natürlich, man wüsste stets vorher, welcher Schritt der richtige ist. Hinterher nämlich ist man immer klüger. Bedauerlicherweise aber hatte ich heute Morgen nicht in meine Glaskugel geschaut. Und selbst wenn, hätte das Schicksal sich von mir mit so einem billigen Trick täuschen lassen? Ja, vielleicht hätte
dann alles einen anderen Verlauf genommen, und dennoch wäre das Ergebnis exakt dasselbe geblieben. Insofern war nicht Sancta die Schuldige, sondern, tja, das Schicksal war schuld. Wie immer. Blöder Spruch, aber wahr: Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. Das Schicksal hatte mich also letzten Endes doch reingelegt. Ade, du schöne Welt des wachen
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