Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
also, also, also …
Nachdem Blaubart verschwunden war, kehrte ich zu Max’ Leiche zurück, beweinte ihn rückwärts, verließ das Zimmer und untersuchte das Haus rückwärts, alles rückwärts, rückwärts, rückwärts. Und bei all dem Rückwärts-Agieren, das mir inzwischen kaum mehr etwas ausmachte und mir so vertraut geworden war wie eine zweite Haut,
fragte ich mich unentwegt, wie ausgerechnet Blaubart in diese Geschichte hineingeraten konnte. Er besaß zwar ein Herz aus Gold und die Präsenz eines Dampfhammers, wenn es darauf ankam, doch bei einem physikalischen Paradoxon solch folgenschweren Ausmaßes wäre wohl selbst Gott nicht auf die Idee gekommen, diesen Dampfhammer zur Schicksalsfigur zu erwählen. Da hatte ich eine Vermutung. Es ging nicht um Blaubart, sondern um mich. Um mich mund- oder besser gesagt aktionstot zu machen, bediente man sich ganz unauffällig mir nahestehender Gestalten, um später einen tödlich verlaufenen Zwist unter Freunden vortäuschen zu können. Mich durch die Bruderschaft der Schwarzen entführen zu lassen, war ja nicht gerade von Erfolg gekrönt gewesen. Wer weiß, vielleicht würden bald Junior, gar Sancta wie völlig ausgewechselt sein und über mich herfallen.
Der rückwärtslaufende Film führte mich schließlich in unseren Garten zurück, vorbei an Sancta und Junior, die sich auf der Wiese sonnten, und zu meinem angestammten Platz vor der Küchentürtreppe, quasi der Stelle, wo der Dorftrottel den ganzen Ort unterhält. Da endete der Spuk mit einem Mal und irgendwie vorhersehbar. Alles, was ich in Erfahrung gebracht und getan hatte, hatte es nie gegeben beziehungsweise lag nur noch als eine Erinnerungsdatei in meinen Hirnwindungen gespeichert beziehungsweise würde erst in der Zukunft stattfinden, welche wiederum ja nicht existierte, weil die Zeit rückwärtslief beziehungsweise …
Was bedeutete das nun genau? Waren Blaubart und Max nun tot oder nicht? Gerne wäre ich diesen Gedanken weiter
nachgehangen, wenn nicht plötzlich das Erfreulichste seit dem Beginn meiner Zeit-Odyssee eingetreten wäre.
Auf der gegenüberliegenden Mauer erschien mit einem Mal ein vertrauter Artgenosse. Aber nicht irgendein vertrauter Artgenosse. Es war Blaubart! Quicklebendig und so dreist und missmutig, nichtsdestotrotz so gewohnt jovial dreinschauend wie immer. Ich sprang auf und lief ihm entgegen, und auch Junior und Sancta freuten sich über das Auftauchen des alten Kämpen so sehr, dass sie sich sofort erhoben und vergnügt zu ihm eilten. Und während ich ihm entgegenrannte, konstatierte ich, dass sich in der Chronologie schon wieder ein Riss aufgetan hatte. Die Zeit lief rückwärts, gut, das hatte ich inzwischen akzeptiert. Aber sie lief offenkundig neuerdings nicht in der gleichen Spur rückwärts, auf der sie in die Zukunft gelangt war. Denn vor meinem Aufbruch zu Max war ja Blaubart gar nicht auf der Mauer erschienen und hatte uns alle in seiner unnachahmlich miesepetrigen Art angeglotzt. Verdammt noch mal, was ging hier vor sich? Befand ich mich in einem endlosen Albtraum mit unterschiedlichen und von Mal zu Mal immer albtraumhafter werdenden Abzweigungen und Variationen?
Eigentlich hätte ich auf diese Erkenntnis hin in völliger Resignation, um nicht zu sagen, in Wahnsinn versinken müssen. Das genaue Gegenteil trat jedoch ein. Ich wurde wütend, extrem wütend, so wütend, dass ich es diesem besinnungslosen Ungeheuer namens Zeit jetzt erst recht zeigen wollte. Diejenigen, die sie ständig nach Belieben kneteten und umgestalteten wie einen schlaffen Teig, sollten mich kennenlernen! Für diesen Angriff entwarf ich auch prompt einen vorzüglichen Plan. Und wenn ich bei diesem
Angriff zugrunde ginge, so spielte das auch keine Rolle mehr. Ich hatte schon alles Schöne und Wertvolle in meinem langen Leben in vollen Zügen genossen. Der Tod? Geschenkt! Mit dem Wahnsinn leben? Niemals! Mit anderen Worten: Der alte Francis war wieder da.
9
»Blaubart, ich werde dir jetzt etwas erzählen, das dir lächerlich, um nicht zu sagen komplett verrückt, vorkommen wird«, sagte ich. Nach der großen Begrüßung im Garten hatten wir uns alle wieder ins Haus zurückgezogen und danach ein herzhaftes Mahl aus den Näpfen zu uns genommen. Ich fraß am meisten, weil mich die zurückliegende Schockepisode bis an den Rand eines Zusammenbruchs Kräfte gekostet hatte.
Nach der Schlemmerei – der gute Gustav hatte sogar etwas angedünstete Kalbsleber unter den Dosenfraß gemischt –
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