Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
werden …
Trotz der wilden Spekulationen bemerkte ich, dass sich dem vielen Blut nun eine weitere Flüssigkeit hinzugesellte: Tränen. Sie schwappten über meine Lider, kullerten über die Nasenfurchen bis zu meinem Maul und tropften dann auf den Leichnam. Und auch wenn der Tote es nicht mehr spürte, so bildete ich mir gern ein, dass sie seine Schmerzen nachträglich zu lindern vermochten. Ich hatte mich über das grenzenlose Entsetzen mit neunmalschlauen Überlegungen hinwegzulügen versucht, doch jetzt brach es aus mir mit umso gewaltigerer Wucht heraus, und ich begann bitterlich um diesen komischen Kauz zu weinen. Er war mir in unserer kurzen Begegnung als ein Ritter von der nervösen
Gestalt gegenübergetreten, und doch hatte er genug Mumm besessen, mich anwaltlich zu vertreten, mich zu beschützen. Und nun war er tot, meinetwegen, wegen Dingen, die über uns hereingebrochen waren wie die Apokalypse. Ich war untröstlich über sein Ende. Einer wie er, der quasi ein wandelndes Spektrum sämtlicher unserer Fellfarben und so sehr reinen Herzens gewesen war, hätte nicht auf diese grausame Art sterben dürfen, dachte ich bei mir, während meine Tränen eben dieses bunt gescheckte Fell inzwischen völlig durchnässt hatten.
»Du solltest das alles schnellstens vergessen und wieder deiner Wege ziehen, Francis.«
Ich fuhr herum und blickte erneut in das eine phosphoreszierende Auge. Draußen hatte inzwischen die rabenschwarze Nacht das Kommando übernommen, sodass der Raum nunmehr in vollkommener Finsternis lag. Es gab nur eine Lichtquelle: Blaubarts grün strahlendes Auge, das Leuchtfeuer vor einer unheilschwangeren Gewitterfront. Er stand am Türrahmen und glotzte mich in einer Art zombiehafter Teilnahmslosigkeit an. So hatte ich ihn noch nie erlebt, jedenfalls nicht in solch einer Pietät gebietenden Situation.
»Blaubart, ich hätte dir gleich die Wahrheit sagen sollen«, begann ich aufgeregt und kroch unter dem Tisch hervor. Obgleich lediglich eine Silhouette, wirkte er mit seinem von kahl hervorschimmernden Schmissen übersäten Fell, dem massigen Körper und dem breiten Kopf mit den wie angenagt wirkenden Ohren und zickzackförmigen Schnurrhaaren wie der Wächter eines düsteren Reichs. »In den letzten Tagen ist viel Unglaubliches passiert, das ich
dir nicht hätte verschweigen dürfen«, fuhr ich fort. »Dieser Kerl, dieser Max, nach dem ich gesucht habe, ist jetzt tot. Er wurde ermordet.« Ich deutete auf die Leiche. »Aber das ist noch nicht alles, was vorgefallen ist. Stell dir vor, ich hatte einen Unfall, und danach lief die Zeit …«
»Du brauchst es nicht weiter auszuführen, ich weiß Bescheid«, schnitt mir Blaubart ziemlich stumpf das Wort ab.
… es nicht weiter auszuführen? Und nicht das übliche »Scheiße ja!« oder »Scheiße nein!« als Unterstreichung des Gesagten am Schluss? Ehrlich gesagt, wollte ich besser nicht ausführen, was ich von Leuten hielt, die solch Hochgestochenes wie »es nicht weiter auszuführen« von sich gaben. Blaubart war einiges zuzutrauen, das Schlimmste und das Beste, aber bestimmt nicht das.
»Aha, du weißt also Bescheid. Worüber denn, wenn man fragen darf? Und wolltest du nicht vorhin noch ein bisschen frische Luft schnappen?«
»Francis, ich sage es dir im Guten: Akzeptiere die Dinge, wie sie sind, und halt dich aus dieser Geschichte heraus. Sonst könnte es echt böse für dich enden.«
Das war nicht Blaubart! Jedenfalls nicht der Blaubart, der mir so vertraut war wie mein eigenes Wesen. Meine Reaktion perplex zu nennen wäre echt untertrieben gewesen. Wieso war dieser obdachlose Chaot, der das Wort Zeit nicht einmal buchstabieren konnte, plötzlich in eine selbst exzellenten Physikprofessoren Kopfzerbrechen bereitende Angelegenheit involviert? Hatte er in der Zwischenzeit das Lesen und Schreiben gelernt und gleich hinterher seine Promotion mit »summa cum laude« in Experimentalphysik absolviert? Vor allen Dingen aber: Woher wusste er,
dass ich in dieser experimental physikalischen Klemme steckte?
»Ich weiß nicht, ob wir nicht gerade aneinander vorbeireden, Blaubart«, sagte ich. Obwohl ich ahnte, dass das nicht der Fall war, wollte ich die Dinge ein für alle Mal klarstellen. »Dieser arme tote Kerl dort drüben ist das Opfer eines Problems globalen Ausmaßes. Es geht hier nicht um eine gemütliche Kriminalstory, mit der sich der alte Francis beschäftigt, weil er sonst nicht weiß, wie er den Tag rumkriegen soll. Außerdem wäre es ganz nett,
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