Felidae
können. Doch gelegentlich mu ß der Rätselrater auch harte Schlappen einstecken. Und zwar nicht, weil er sich außerstande sieht, das Rätsel zu lösen, sondern weil er es so vortrefflich gelöst hat, sich hinterher aber wünscht, es besser nicht gelöst zu haben.
So erging es in dieser verrückten Nacht auch meiner Wenigkeit, als ich hinter die Wahrheit kam. Sie war deprimierend und zugleich aufregend.
Meine Desillusionierung über das Rätselraten setzte eigentlich ein paar Minuten nach der Rückkehr in die Wohnung ein. Auf die gleiche selbstmörderische Art wie beim Aufstieg hatte ich vom Dach aus den Verbindungsast überquert und war den Baum hinabgeklettert. Dabei war ich jedoch derart intensiv in das Zusammensetzen der vielen Puzzleteile in meinem Kopf vertieft, da ß ich jede halsbrecherische Bewegung wie ein Schlafwandler vollführte und dabei nicht einmal das wohlige Schaudern, das den gefährlichen Abstieg begleitete, geno ß . Das Schneetreiben hatte sich inzwischen in einen weiße Eislava speienden Drachen verwandelt, der schrie und heulte. Am nächsten Morgen würde die Welt der kitschigen Szenerie aus einer Merry-X-mas-Postkarte gleichen und den Weihnachten-Fans einen Orgasmus der Heimeligkeit verschaffen.
Immer noch mit Hunderten von abstrusen Theorien beschäftigt, trabte ich in dem Doktor-Schiwago-mä ß igen Schneeorkan nach Hause und flutschte dann durch das Klofenster, welches Gustav für mich einen Spalt breit offengelassen hatte, in die Wohnung hinein. Meinen armen Freund fand ich im Arbeitszimmer, wo er total besoffen und mit vornübergekipptem Oberkörper über seinem Schreibtisch schlief. Sicherlich hatte er ein paar traurige Versuche unternommen, das Fest der Feste mit sich selbst zu feiern, bis ihm die Sinnlosigkeit und die Tragik seines Tuns aufgegangen war und er beschlossen hatte, die wertvolle Zeit besser für seine Arbeit zu nutzen. Neben den vielen Büchern standen zwei leergetrunkene Flaschen Wein und ein halbvolles Glas, die bewiesen, da ß die Arbeit allein die Schmerzen der Einsamkeit nicht zu betäuben vermocht hatte.
Ich sprang auf den Schreibtisch und betrachtete gramerfüllt den Menschen, der mir tagtäglich mein Futter zubereitete, mich bei der geringsten Unpä ß lichkeit zum Arzt schleppte und sich in Unkosten stürzte, der alberne Spiele mit einem Korken oder einer Gummimaus mit mir spielte, die ich ihm zuliebe mitspielte, der sich schreckliche Sorgen machte, wenn ich mal über längere Zeit wegblieb, und der mich mehr liebte als diese verdammte geschniegelte Wohnung. Leider schnarchte er wieder barbarisch, was einen hä ß lichen Schatten auf meine wehmütigen Gefühle für ihn warf. Er hatte seinen Wassermelonenkopf seitlich auf einen sehr großen, in der Mitte aufgeschlagenen Bildband gelegt, der von der Leselampe dämmrig beleuchtet wurde.
Weiterhin über das sinnlose Leben von Gustav grübelnd, streifte mein Blick oberflächlich die rechte Seite des Buches. Auf ihr war in illustren Originalfarben eine ägyptische Malerei abgebildet. »Etwa 1400 v. Chr. entstandenes Grabgemälde aus Theben« stand darunter. Wie alle derart unfa ß bar antiken Darstellungen stimmte mich auch diese philosophisch, weil ich mir gar nicht vorzustellen vermochte, da ß schon vor so langer, langer Zeit solch hochentwickelte Kulturen existiert hatten. Ich hätte aber meine Aufmerksamkeit sofort wieder auf meines Herrchens Haupt auf der anderen Seite des Buches gerichtet, wenn mir auf dem Bild nicht etwas ganz Besonderes ins Auge gesprungen wäre.
Das Grabgemälde stellte offensichtlich einen jungen König oder Gott auf der Jagd dar. Eine weiße Schärpe um die Hüften gebunden und mit prächtigem Halsschmuck behangen, hielt der Jüngling in der einen Hand eine Schlange und in der anderen drei Federviecher. Er stand auf einem Papyrusboot an einem Seeufer, welches mit Schilfrohr und Sumpfpflanzen bewachsen war. Vögel und Enten unterschiedlichster Gattung und in schwindelerregender Farbenpracht umgaben ihn. Im Hintergrund ragten geheimnisvolle Hieroglyphen empor, und ganz rechts sah man eine kleine Göttin im güldenen Gewand, die der Aktion ihren Segen zu geben schien. Das Gemälde, auf dem nach ägyptischer Maltradition alles aus der Seitenansicht wiedergegeben war, sollte anscheinend ein Dokument der Jagd sein und war auf das Wesentliche komprimiert. Was mir jedoch den Schock meines Lebens versetzte, war der Artgenosse zu Fü ß en des Jägers. Sowohl im Maul als auch in den Pfoten
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