Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
Vom Netzwerk:
wenn ich nicht abrutschen und auf meine alten Tage noch das Fliegen lernen wollte.
    Sorgsam kalkulierte Sprünge vollführend und dabei Sto ß gebete an den lieben Gott sendend, der am Geburtstag seines Sohnes für solcherlei Bitten besonders sensibilisiert sein mochte, gelang es mir, den Baum zu erklimmen, und ich erreichte schließlich den Ast in Höhe des Daches. Dieser war kräftig und lang genug, um mein Gewicht zu tragen und mir als Brücke zu dienen. Der Haken war nur, da ß er im eisigen Wind beunruhigend hin und her schwankte. Außerdem gab es kein Zurück mehr, wenn man die Reise einmal angetreten hatte, weil der Ast so schmal war, da ß er keine aufwendigen Manöver, schon gar keine panischen Rückzugsgefechte erlaubte. Es gab nur einen einzigen Weg: Man mu ß te seinen ganzen Mut zusammennehmen und auf dem Ast, ohne hinunterzuschauen, bis zum Dach balancieren. Ohne noch länger über die Folgen dieser Kamikazeaktion nachzudenken, schritt ich zur Tat ...
    Wir sind von dem Unbill des Schwitzens, Gott sei's gedankt, befreit. Doch als meine Pfoten endlich einen Dachziegel auf der anderen Seite berührten, hatte ich das Gefühl, da ß ich, was diese biologische Eigenschaft anging, eine Mutation war. Denn ich hatte tatsächlich den stinkenden Angstschweiß unter meinem Fell zu spüren geglaubt, als ich mit raschem Gang, den Blick starr und wie hypnotisiert auf das Ziel gerichtet, über den Ast gehuscht war, der es sich natürlich nicht hatte verkneifen können, unter meinen Pfoten gar lustig auf- und abzufedern.
    Dann, auf dem sicheren Dach stehend, atmete ich erleichtert auf und riskierte über die Traufe hinweg einen Blick nach unten. In Anbetracht des gähnenden Abgrundes, welcher durchaus eine Einstellung aus einem Hitchcock-Klassiker hätte sein können, fragte ich mich ernsthaft, ob ich noch alle Tassen im Schrank hatte. Warum setzte ich mein Leben für etwas aufs Spiel, das allem Anschein nach für immer ein blutiges Rätsel bleiben würde? Was wollte ich eigentlich mir selbst und den anderen damit beweisen? Da ß ich das klügste Tier auf Gottes Erden war? Wie eitel! Wie lächerlich! Und wie selbstmörderisch, wie sich gerade gezeigt hatte!
    Aber der Defekt in meinem Hirn, der dafür verantwortlich war, da ß ich immer das Gegenteil von dem tat, was ich gerade erkannt hatte, trieb mich wider besseres Wissen zu neuen Schandtaten. Und so verbla ß te innerhalb von Sekunden der schwindelerregende Thrill, als ich mir den Grund meines Aufstieges vergegenwärtigte.
    Ich wandte mich wieder dem Dach zu, dessen Ziegel, wie vermutet, allesamt beschädigt waren und jeder symmetrischen Ordnung hohnlachten. Sie waren vom Wind wild umhergeschleudert worden und schienen nur noch auf einen geringfügigen Anla ß zu warten, um auf die Stra ß e zu regnen. Zu meinem großen Glück jedoch befand sich genau in der Mitte des Daches ein ausgedehntes, mehrteiliges Atelierfenster, welches allerdings von einer dünnen Schneeschicht bedeckt war.
    Ich lief schnell dahin und bemerkte, da ß viele der Fensterscheiben zu Bruch gegangen und durch durchsichtige Plastikfolien ersetzt worden waren. Mit den Vorderpfoten scharrte ich den Schnee auf einer der unbeschädigten Scheiben zur Seite und schaute durch die so entstandene Öffnung in das Lager hinein. Wiewohl die Dunkelheit eine einwandfreie Sicht verhinderte, fand ich Blaubarts Schilderungen bestätigt. Das Dachgescho ß , welches man wohl in aller Eile und recht schlampig zu einem Magazin umfunktioniert hatte, war vollgestopft mit mehrstöckigen Metallregalen und Stellagen, in denen alte Pokalgläser und Porzellan- und Keramikzierfiguren standen. Diese Zierfiguren hatten in der Tat zum überwiegenden Teil die Felidae zum Motiv und waren wohl für eine Käuferschicht mit einem solch extravaganten Geschmack wie Gustav gedacht. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie mein tumber Lebensgefährte so ein Porzellanvieh im Schaufenster erspähte, in den Laden hineinlief und es für einen Wucherpreis erstand, um das Ding dann auf dem Kamin zu plazieren und mich in seiner nervtötenden Babysprache alle Nase lang auf die Ähnlichkeit mit mir aufmerksam zu machen. Doch wie Blaubart geschwärmt hatte, befanden sich hier auch lebensgroße Abbilder von Mächtigeren meiner Art. Die gespenstische Galerie der lackierten Tiger, Jaguare, Pumas und Leoparden jagte mir keinen schlechten Schrecken ein, denn wenn es auch nur Serienprodukte aus Fernost waren, so hatten sich die Macher doch erhebliche

Weitere Kostenlose Bücher