Felidae
Viertel ich nach alter Tradition auflecken durfte. Er wollte mit mir gemeinsam seine im Lauf der Jahre liebgewonnene, um nicht zu sagen, zwanghaft gewordene Gewohnheit pflegen, bevor er wie üblich in der Mitte des Films ins Land der Träume ging. Da ich jedoch gerade von dort zurückgekehrt war, verspürte ich wenig Lust, den Abend auf die althergebrachte Art zu verbringen. Nichtsdestotrotz tat ich ihm den Gefallen, bis er exakt in der Mitte von Rebecca , den ich schon x-mal gesehen hatte, eingepennt war. Dann kehrte ich dem Flimmerkasten den Rücken zu und schlich leise aus dem Zimmer, um endlich das zu tun, was ich immer tue, wenn ich einen klaren Kopf bekommen möchte und dringend eine Ablenkung vom Stre ß brauche: n ämlich Ratten jagen!
Hierzu ein klärendes Wort unter uns Tierfreunden: Für viele ist der Anblick von meinesgleichen mit einer dieser Pestbeulen, Entschuldigung, mit einem dieser Nager zwischen den Zähnen, ein herzzerreißendes Bild. Sie empfinden Mitleid für die Pestbeule, Entschuldigung, den Nager und lamentieren über die grausame Philosophie des Fressens und Gefressenwerdens. Nicht genug damit, manche halten sich diese Pestbeulen, Entschuldigung, Nager sogar als Hausfreunde. Man kann diesen Leuten keinen Vorwurf machen. Denn wie sollte ihnen auch der Größenwahn ihrer »Hausfreunde« bekannt sein? Er liegt aber auf der Hand: Ratten streben die Weltherrschaft an! Und es mehren sich die Anzeichen, da ß sie dieses Ziel in naher Zukunft erreichen werden. Vorurteil? Maßlose Übertreibung? Artspezifische Hirngespinste? Nun, hier ein paar nüchterne Zahlen: Nur hundert Ratten verzehren im Jahr eine bis eineinhalb Tonnen Getreide. Weltweit wird der von Ratten angerichtete Schaden auf jährlich über fünfzig Milliarden Dollar geschätzt. Noch mehr Zahlen? Allein in der Bundesrepublik Deutschland leben zur Zeit etwa hundertzwanzig Millionen Ratten. Auf jeden Einwohner New Yorks kommen zehn Ratten. Das macht bei neun Millionen Einwohnern für die Stadt New York allein neunzig Millionen Ratten. Ich will mir hier einen Vortrag über Beulenpest und die anderen hübschen Infektionskrankheiten, mit denen unsere putzigen Freunde die Welt beglücken, sparen. Von jeher sinnt der Mensch nach Möglichkeiten, sich dieser Unheilbringer zu entledigen. Aber sogar Wunderwaffen wie die Cumarinderivate, also jene raffinierten chemischen Präparate, die die Ratten innerlich verbluten lassen, haben letztlich versagt, weil Populationen mit Resistenzerscheinungen aufgetreten sind. Doch wehe, wenn einer von uns sich redlich bemüht, dem Weltherrschaftsanspruch des »rattus rattus« ein Ende zu bereiten. Würde man diese alberne Gefühlsduselei überwinden und uns freie Hand geben, wäre die Sache ruckzuck erledigt. Ich bin weiß Gott kein Freund einer Rambo-Ideologie, aber oft sind wir im Leben mit Problemen konfrontiert, die nur einen Ausweg zulassen: Augen zu und Feuer frei! 10
Für eine Expedition in die oberen Stockwerke fehlte mir, ehrlich gesagt, der Mumm. So entschied ich mich diesmal für den Keller, welcher ja bekanntlich das klassische Terrain für diese Biester ist.
Als ich über den Flur bis zur Kellertür gelangte, mu ß te ich frustriert feststellen, da ß sie verschlossen war. Sie besaß jedoch an ihrer Oberseite zwei Glasfenster. Eine der Scheiben war zerbrochen und hatte genau in der Mitte ein Loch, durch das ich, ohne mich an den abstehenden Splittern zu verletzen, mit einem exakt berechneten Sprung hindurchhechten konnte. Aber was erwartete mich auf der anderen Seite? Mit absoluter Sicherheit eine morsche, sehr steile Holztreppe, so da ß ich nach dem Passieren des Loches etwa drei Meter herabsausen würde. Und vermutlich würde ich unten keinen richtigen Halt finden, ausrutschen und holterdiepolter die ganze Treppe herunterfliegen.
Es war mir einerlei, denn es dürstete mich förmlich nach der Jagd. Also zielte ich lange und sprang.
Kaum war ich unversehrt durch die Lücke hindurch, da bewahrheiteten sich auch prompt meine schlimmsten Befürchtungen. Die Holztreppe ging sogar noch viel steiler hinunter, als ich es mir vorgestellt hatte. Wie gern hätte ich jetzt einen Rückzieher gemacht, doch zu spät, zu spät ...
Ich flog drei oder vier Meter tief und knallte hart auf einer der untersten Stufen auf. Ein höllischer Schmerz jagte von meinen Vorderpfoten bis zu den Schnurrbarthaaren hoch, die wie angeschlagene Stimmgabeln nachvibrierten. Zwar hatte ich den Aufprall abzufedern versucht, aber
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