Felidae
gute Weile das tote, unterirdische Reich, bis ich den Aufri ß auswendig zu kennen glaubte.
Dann jedoch gelangte ich unvermittelt in einen runden Raum mit einer Kreuzgewölbedecke, dessen Anblick mir beinahe den Verstand raubte. In die durchgehende, quasi das Innere einer Kuppel darstellende Wand dieses Gewölbes waren unzählige kleine Nischen eingelassen, in die man seinerzeit wahrscheinlich Kerzen oder sakrales Besteck hineingestellt hatte, die aber inzwischen auf eine perverse Weise zweckentfremdet worden waren. Denn in ihnen ruhten nun Gerippe von Artgenossen, viele noch im Vollbesitz ihrer vertrockneten, ja gegerbten Häute, die sich trotz der hiesigen Luftverhältnisse oder gerade deswegen geweigert hatten, zu Staub zu zerfallen. Die Toten in diesen Nischen saßen wie Menschen aufrecht auf ihren Hintern und starrten mich eindringlich aus ihren leeren Augenhöhlen an. Alle waren sie mit vertrockneten Blumen geschmückt, die sich in der letzten Phase ihrer Auflösung befanden. Am abartigsten und grauenerregendsten war aber der Altar. Ein mächtiger Steinblock mit einem kunstlos gemeißelten Kreuz auf der Vorderseite, der in der Mitte des Raumes stand und auf dem nebst Kandelabern mit vor Äonen verloschenen Kerzen ein gigantischer Hügel aus Knochen emporragte. Das Horrorkunstwerk war mit einer Schädelkapsel drapiert und ringsum ebenfalls mit verwelkten Blumen verziert. Auch der Steinboden war mit nichtmenschlichen Skelettpuzzlestücken gepflastert, für die der Irrsinnige, der wohl für all dies verantwortlich sein mu ß te, keine rechte Verwendung gefunden hatte. Ein Stück von dem Götzenaltar entfernt lag ein Haufen aufgeschlagener, im argen Zerfallsstadium befindliche Bücher und Lederbände im wilden Durcheinander. Der Zahn der Zeit und vielfältiges Getier hatten an ihnen genagt und sie bis zur Unkenntlichkeit demoliert. Ich nahm an, da ß sie einst zur Bibliothek des Klosters gehört hatten, bis sie in diesen Raum geschleppt worden waren. Den ganzen Alptraum überzog ein umfangreiches Netzwerk von Spinnweben, und womöglich führte auch das Volk der Mäuse an diesem Ort ein paradiesisches Leben.
Während ich mit offenem Mund, von einer magischen Anziehungskraft in das Zentrum des Gewölbes gelockt, abzuschätzen versuchte, wieviel Brüder und Schwestern hier wohl ihre letzte Ruhestätte beziehungsweise ihr schreckliches Ende gefunden hatten, nahm ich den Verwesungsgeruch wahr. Ja, nicht alle diese armseligen Kreaturen waren bis zu dem erlösenden Stadium der Gerippeexistenz gelangt. Einige, wenn auch wenige, erlitten noch die letzten Unbequemlichkeiten ihrer Verwesung, was bedeutete, da ß gegenwärtig Heerscharen von Würmern und anderen Gottesgeschöpfen sich mit ihnen beschäftigten. Wiewohl das Gewölbe von vielerlei Gerüchen durchdrungen war, vor allem dem von Fäkalien, stach einem dieses buchstäblich mörderische Aroma besonders scharf in die Nase.
Ich dachte an Kong und daran, wie rasch er mit seinem ungeschlachten Instinkt den wahren Mörder erkannt hatte. Ich dagegen hatte genial sein wollen und war mit meiner umständlichen, analysierenden, letztlich aber vollkommen uneffektiven Art an die Sache herangegangen. Ich hatte den Menschen imitieren wollen - ein kindisches Unterfangen - und mir die ausgeklügeltsten Hypothesen zurechtgelegt. Die Auflösung jedoch entbehrte jeglicher Logik. Der Mörder war ein geistesgestörter Perser, der seine Opfer anfiel, sie tötete und dann hier in seine Kultstätte verschleppte. Motiv: Nun, es gehörte halt zum Ritual oder zu dem Wahn, von dem er besessen war.
Ein Rätsel blieb allerdings offen. Warum hatte er die sechs Artgenossen, die vor der Balinesin Solitaire sterben mussten, nicht in die Katakombe befördert? Zum Glück brauchte ich mir über diese feinen Details nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, denn durch die wahrscheinlich bald bevorstehende Begegnung mit dem Watschler würde ich des Denkens gänzlich enthoben sein. Das Gescheiteste, was man jetzt noch tun konnte, war, die schöne Aussicht zu genießen.
Ich spazierte die Wand entlang und betrachtete von unten die mumiengleichen Artgenossen, die aus ihrem vertrockneten Blumenstaat argwöhnisch zurückglotzten. Es war erstaunlich, wie gut manche von ihnen konserviert waren. Wenn man nur einen flüchtigen Blick auf sie warf, konnte man sie durchaus für stark ausgemergelte, aber noch lebendige Exemplare halten, wie man sie in tierfeindlichen Ländern oft antrifft. Hin und wieder jedoch krochen
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