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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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aus ihren stellenweise aufgerissenen Häuten irgendwelche Insekten hervor und machten die Illusion zunichte.
    Am meisten beeindruckte mich ein Bruder in einer der finstersten Nischen. Ich unterbrach meinen Spaziergang extra, um ihn näher unter die Lupe zu nehmen. Obwohl ein Schatten seinen Körper bedeckte, erkannte ich, da ß er sämtliche physiognomischen Merkmale eines Lebenden besaß und ihm sogar das struppige Fell erhalten geblieben war. Er hielt die Augen geschlossen und schien ruhig zu schlafen. Man hätte sich wirklich einer Täuschung hingeben und ihn atmen sehen mögen, wenn man nicht genau gewu ß t hätte, da ß er ...
    Plötzlich ri ß er die Augen auf! Und fast gleichzeitig registrierte ich, da ß er kein Angehöriger der mystischen Totenarmee war, sondern mein guter alter Watschler, der sich scheinbar ein besonderes Überraschungsbonbon für meine Hinrichtung hatte einfallen lassen. Mir stockte der Atem und meine Zähne begannen vor Angst zu klappern. Es war für eine Bestie von seinem Geschick ein leichtes, mich von dort oben anzufallen und meinen Nacken nach alter Väter Sitte zu bearbeiten. Komischerweise schien er zu zittern, und seine großen, wild rollenden Augen zwinkerten nervös.
    »Füge dem Totenwächter kein Leid zu«, sagte er mit einer krächzenden, kaputten Stimme. Das Zittern, das durch seinen Körper ging, verwandelte sich allmählich in heftiges Wackeln. Dabei verdrehte er die Augen wieder so drollig, was vortrefflich zu seiner kauzigen Erscheinung pa ß te. Ich hatte ihn oben in den Gärten richtig identifiziert. Er war in der Tat ein heruntergekommener, vor Schmutz triefender Perser mit einem vollkommen verknäulten Fell. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass seine Fellfarbe nicht grau, sondern blau war, allerdings von solch einem Blau, das allein Fachkundige zu erkennen vermögen, weil dieser Farbton unbedarften Augen als Dunkelgrau erscheint. Sein Körpergestank, der periodisch zu mir herabwehte, ließ einen beinahe in Ohnmacht fallen. Vielleicht betäubte er zunächst so seine Opfer, scho ß es mir in einem Anflug von Galgenhumor durch den Kopf.
    »Füge dem Totenwächter kein Leid zu«, wiederholte er.
    Mir fiel auf, da ß er mich beim Sprechen nicht beachtete, sondern stur geradeaus starrte.
    »Gewi ß , der Totenwächter hat gesündigt, den Tempel entweiht und die heilige Regel gebrochen. Das ist wohl die schlimmste Sünde. Und dafür wird er bitter büßen müssen. Doch wenn der Totenwächter verschwindet, wer bringt dann die Blumen zu den Toten, wer schmückt ihr Haus so prächtig und wer gedenkt ihrer? Wer betet für sie und wer nimmt sie in Empfang? Ich schwöre beim Propheten, dem allmächtigen Totenkaiser, nie und nimmer werde ich den Tempel verlassen und Jahwe ins Handwerk pfuschen wollen ...«
    Und so weiter. Ganz offensichtlich hatte er seine Nase zu tief in diese abgewetzten Klosterbücher gesteckt, was nicht ohne Nachwirkungen auf seine Sprachgestaltung geblieben war. Ich fragte mich, wann er seine weihevolle Rede beenden und über mich herfallen würde.
    »Wann wirst du mich endlich ermorden, Bruder?« unterbrach ich ihn schließlich eher aus Neugier als aus Angst.
    »Ermorden? Mord? Oh, des Mordens ist kein Ende in diesem Jammertal. Jahwe, der Satan reitet auf seinem glühenden Stier durch das Land und lä ß t deine Schafe einander bekriegen. Den Weg des Friedens kennen diese Sünder nicht; auf ihren Bahnen gibt es kein Recht. Sie machen ihre Pfade krumm, und wer sie betritt, weiß nichts vom Frieden. Deshalb ist fern von uns das Recht, und die Gerechtigkeit erreicht uns nicht. Wir hoffen auf Licht, und siehe, es bleibt finster. Wir straucheln am Mittag wie in der Dämmerung, wir wohnen in Finsternis, den Toten gleich ...«
    » Stop, stop, stop!« rief ich entnervt. »Sag mal, machst du immer einen auf Frühmesse, bevor du jemandem an den Nacken gehst?«
    Felicitas hatte angemerkt, da ß der Mörder bedeutungsschwanger auf seine Opfer einredete, bevor er zuschlug. Ob dieser Vortrag auch unter die Kategorie »bedeutungsschwanger« fiel, wagte ich zu bezweifeln.
    Der Perser brach jedenfalls seine Predigt ab und schaute zum ersten Mal auf mich herab. Da er nicht gewillt war, meine Frage zu beantworten, sie wahrscheinlich gar nicht verstanden hatte, stellte ich sogleich die nächste Frage.
    »Wie heißt du, mein Freund?«
    Ein Anflug von Freude huschte über sein hä ß liches Gesicht.
    »Man nennt mich Jesaja, den guten Totenwächter« antwortete er

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