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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Befreiung der Versuchskaninchen kam? Erhielten sie von außen, vielleicht von Joker, Hilfe? Wie dem auch sei, Joker tauchte danach wieder in seine Unterwelt hinab, kam nur gelegentlich zum Vorschein, um zum Beispiel Jesaja vor dem Hungertod zu bewahren und ihn zu seinem Zauberlehrling auszubilden und sich ansonsten seinem Eremitendasein zu widmen.
    Doch dann plötzlich geschah etwas höchst Merkwürdiges. Joker beschlo ß , eine Religion zu gründen, die Religion des Claudandus, ein Mischmasch aus Märtyrermystik, Geißelungsriten und Auferstehungshokuspokus. Und nicht genug damit, er sagte auch noch seiner Einsiedelei ade und zog in die große weite Welt, um die Lehre mit Vehemenz zu verbreiten und sämtliche Artgenossen zum Claudandismus zu bekehren. Warum diese Wendung? Gewi ß , Joker war ein durch und durch religiöses Vieh. Aber was für ein Interesse hatte er auf einmal daran, die gesamte Felidae-Welt mit der Claudanduslehre zu beseelen? In diesem Zusammenhang war es von eminenter Wichtigkeit, sich zu erinnern, da ß Joker im Gegensatz zu Jesaja den Kontakt zu der Tagwelt niemals abbrechen ließ. Hatte er dort oben in den Gärten jemanden kennengelernt, der ihn zu diesem entscheidenden Schritt überredete? Wer war dieser Jemand? The Prophet himself?
    Zweitens: Wer war der Prophet? Jokers Überlieferungen zufolge Claudandus, ein tadelloser Heiliger, der seiner unerträglichen Pein wegen Gott anrief, erhört wurde und in den Himmel fuhr. Nach den Aufzeichnungen von Preterius handelte es sich bei ihm in Wirklichkeit jedoch um ein bemitleidenswertes Versuchstier. Was schließlich aus ihm geworden war, wu ß te niemand, wiewohl nach logischen Gesichtspunkten anzunehmen war, da ß er an den Folgen seiner Verletzungen elend verendet sein mu ß te. (Ganz nebenbei bemerkt: Was wurde eigentlich aus Professor Julius Preterius?) Ging man von Jesajas Bericht aus, war der Prophet wiederum der Mörder oder besser gesagt ein Artgenosse, der im Gewand des Propheten, aus was für Motiven auch immer seine Brüder und Schwestern abmurkste. Wie man die Sache also auch drehte und wendete, der einzige, der wirklich um den richtigen beziehungsweise falschen Propheten wu ß te, war der allerliebste Vater Joker.
    Drittens: Die folgende Erkenntnis verdankte ich einem genialen Gedankenblitz:
    Es existierte zwischen den sechs vorangegangenen Morden und dem an Solitaire doch noch eine Gemeinsamkeit, wenn man dabei Felicitas ausklammerte, weil sie ja nur eine Zeugin gewesen war, die der Mörder unbedingt zum Schweigen bringen mu ß te. Sowohl die männlichen Opfer als auch die Balinesin waren zum Zeitpunkt ihrer Ermordung jeweils auf ihre Weise mit ein und demselben Vorgang beschäftigt, nämlich mit dem Produzieren von Nachkommen. Ob dies auch auf die Gerippegesellschaft rings um mich zugetroffen hatte, konnte ich selbstverständlich nicht mehr überprüfen, ich ging jedoch vorerst davon aus. Ein mögliches Mordmotiv war demnach, da ß der Mörder Nachkommen verabscheute und deshalb jene Artgenossen killte, die Nachkommen zeugten oder mit Nachkommen schwanger waren. Wahrscheinlich tötete er auch - und diese Vorstellung machte mich schaudern - Säuglinge! Doch welche Nachkommenschaft war unerwünscht? Welche Rasse genau sollte mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden? Europäisch Kurzhaar? Russisch Blau? Balinesen? Oder hegte der schwarze Mann ganz allgemein gegen Felidae eine, na ja, mörderische Abneigung?
    Viertens: Mister X wusste seine Schandtaten jahrelang exzellent zu verbergen, indem er die Leichen durch die Luftschächte in die Katakombe beförderte. Er hatte sogar einen Dummen gefunden, der sie in ein sicheres Versteck schleppte und so vor allzu neugierigen Augen schützte. A) Wie war er auf diese saubere Lösung der Leichenbeseitigung gekommen? Durch Joker? Vielleicht. B) Warum brach er von heute auf morgen mit dieser liebgewordenen und äußerst sinnvollen Gewohnheit? Hielt er sich neuerdings für so unverwundbar, da ß er jede Vorsicht außer acht ließ? Vielleicht.
    Fünftens: Welches Ziel verfolgte die Claudandussekte beziehungsweise der Claudandusglaube? Gewi ß , diese Frage klang auf den ersten Blick etwas albern. Natürlich konnte man auch genauso fragen, weshalb so etwas wie Religion überhaupt existiert. Sicher deshalb, weil jedes intelligente Lebewesen das Gefühl der Religiosität in sich trägt und dieses irgendwie ausagieren mu ß . Doch in diesem speziellen Fall schien es mir so, als diene die Religion einem

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