Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
stellte ich eine andere Verbindung her. Ich hatte an die fehlende Seite im Protokollbuch gedacht und erkannte schließlich eine Möglichkeit, wie mir das Buch sogar in seinem verstümmelten Zustand weiterhelfen könnte.
Daher war ich, obwohl Rosa mich beinahe mit einem Steakmesser zerlegt hatte und ich danach nicht die geringste Spur von ihr gefunden hatte, ziemlich guter Laune, als ich ins Archiv zurückkehrte. Ich hatte der Versuchung widerstanden, meine Feinde verwirrt und begann das traurige Puzzle in einer neuen Ordnung zusammenzufügen. Alles in allem verspürte ich die süffisante Befriedigung, einen Job gut in Angriff genommen und ihn daher zur Hälfte abgeschlossen zu haben.
Bis zu dem Augenblick, als Alice mir verkündete, ich sei gefeuert.
15
I ch brauche nur noch einen Tag«, sagte ich, erstaunt darüber, dass ich in meiner Stimme einen Unterton erkannte, der flehentlich klang. »Ehrlich. Einen einzigen Tag. Peele sagte, ich habe Zeit bis Ende der Woche.«
Kein Muskel zuckte in Alice’ versteinertem Gesicht. Sie hielt meinen Trenchcoat in den Händen und stieß ihn mir mit einer heftigen Geste entgegen.
»Gehört der Ihnen?«, fragte sie in einem übertrieben diktatorischen Tonfall.
»Ja. Alice, es ist mein Ernst. Ich muss nur noch ein paar Kleinigkeiten klären. Ich bin am Ziel. Wirklich.«
»Frank hatte Ihren Mantel auf eine der Garderobenstangen gehängt«, sagte Alice und ignorierte mich völlig. »Dann musste er seinen Platz verlassen, daher hat er ihn in ein Schließfach gelegt, wo er sicher war. Als er ihn zusammenlegte, ist das hier herausgefallen.«
Sie ließ den Schlüsselbund vor meinen Augen hin- und herbaumeln.
Scheiße! Ich glaubte, mich vage erinnern zu können, ihn in die Hosentasche gesteckt zu haben. Das konnte man wohl kaum als mildernden Umstand werten.
»Sie haben die Schlüssel damals in der Kirche liegen gelassen«, sagte ich. »Ich wollte sie zurückgeben, aber es ist mir irgendwie entfallen.« Wenn man es sich genau überlegte, klang das nicht viel besser.
»Ach ja?«, fragte sie mit beißendem Sarkasmus. »Castor, unser erstes Gespräch drehte sich um den Wert der Sammlung und darum, wie sehr wir auf unsere Sicherheit bedacht sind. Seitdem sind Sie hier während des größten Teils einer Woche ein- und ausgegangen, wurden durch Kartenlesegeräte identifiziert, mussten warten, dass man für Sie Türen öffnet und sie hinter Ihnen schließt. Mir fällt es schwer zu glauben, dass all das bei Ihnen keinen Eindruck hinterlassen hat. Dass Ihnen alles … nun, einfach entfallen ist.«
»Soll Ihre Aggression möglicherweise Ihre Verlegenheit überspielen, weil Sie den Schlüssel verloren haben?«, fragte ich.
Falls ich angenommen hatte, Alice mit Ehrlichkeit entwaffnen zu können, irrte ich mich. Sie ließ eine Flut von Beleidigungen los, die mich nicht so sehr ihrer Heftigkeit, sondern ihrer Bandbreite wegen überraschte. Ihr Gesicht wurde erst blassrosa, dann rot, und obgleich sie sich nicht klar verständlich ausdrückte, ragten einige Kernpunkte aus dem Strom von Anschuldigungen heraus: Erstens war ich ein Dieb; zweitens hatte ich die Sicherheit des Archivs gefährdet; drittens war Peele damit einverstanden, dass ich das Gebäude nicht mehr betreten dürfe.
»Sie sind draußen!«, schrie sie mich an. »Sie verschwinden von hier! Auf der Stelle – und wir erwarten bis morgen die Rückzahlung Ihres Vorschusses. Sonst holen wir uns das Geld mit Hilfe des Gerichts zurück! Schaffen Sie ihn weg, Frank!«
Frank deutete zur Tür – eine Aktion, die nicht gerade danach aussah, als wollte er mich an den Ohren hinausschleifen, und bei Alice möglicherweise das Gefühl eines Coitus interruptus erzeugte. Aber das änderte nicht das Geringste.
Ich machte einen letzten Versuch. »Ich denke, Ihr Geist ist ein Mordopfer«, erklärte ich und legte die Karten auf den Tisch. »Ich glaube auch, unter Ihren Angestellten befindet sich ein Dieb. Jemand, der methodisch über Monate Material aus der Sammlung mitgenommen hat, vielleicht auch über Jahre. Wenn Sie mich nur …«
Alice machte kehrt und ging. Frank tippte mir leicht auf die Schulter, aber sein Gesicht hatte einen harten Ausdruck. »Wir wollen doch keinen Ärger, nicht wahr, Mister Castor?«, sagte er.
»Nein«, antwortete ich resigniert. »Das wollen wir nicht. Aber das ist das Schlimme. Anscheinend kriegen wir ihn immer.«
*
»Du hast geschafft, dass jeder auf dich sauer ist, Felix«, erklärte Cheryl fröhlich, während
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