Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
gewarnt«, sagte Pen kopfschüttelnd. Um ihren Brandy betrogen, schenkte sie sich ein weiteres Glas Wein ein.
Ich räumte die benutzten Teller und Schalen ans Ende des massiven Bauerntisches und breitete die Pläne aus, die ich im Rathaus kopiert hatte. Dann holte ich das Protokollbuch, das flach gelandet war, als Cheryl es aus dem Fenster geworfen hatte, und daher den Sturz ohne erkennbare Beschädigungen überlebt hatte. Ich schlug es am 13. September auf, der dank der herausgerissenen Seite leicht zu finden war.
»Was tun wir?«, fragte Cheryl.
»Nun, da Jeffrey sich die Mühe gemacht hat, die Zeit, den Ort und das Datum für jeden Auftritt des Geists zu notieren, können wir sie auf den Bauplänen einzeichnen.«
Cheryls Miene sagte mir, dass ihr das als Antwort nicht reichte. »Weil ich wissen muss, was sie genau heimsucht«, erklärte ich. »Ich dachte, es seien die russischen Kunstwerke, aber die sind es nicht. Also ist es etwas anderes.«
»Muss es so genau sein?«
»Nein, aber gewöhnlich ist es das. Die meisten Geister haben einen stofflichen Anker. Es kann ein Ort sein oder auch ein Objekt – von Zeit zu Zeit sogar eine andere Person. Aber beinahe immer gibt es etwas. Etwas Bestimmtes, woran sie sich klammern.«
Keine der beiden schien überzeugt. »Das Archiv zählt doch als Ort, nicht wahr?«, fragte Pen. »Kann es nicht das gesamte Gebäude sein, das sie heimsucht?«
»Ich rede von etwas Charakteristischerem. Innerhalb des Gebäudes oder in seiner Nähe sollte es einen Bereich geben, der sozusagen eindeutig zu ihr gehört. Einen Bereich, mit dem sie eng verbunden ist und an dem sie sich die meiste Zeit aufhält. Oder vielleicht ein bestimmtes Objekt, das sie zu Lebzeiten besessen hat und für das sie immer noch starke Gefühle hegt.«
»Wie soll dir das helfen?«, fragte Cheryl.
»Wenn ich weiß, was es ist, bekomme ich möglicherweise eine bessere Vorstellung davon, wer sie war und wie sie starb.«
Cheryl nickte. Sie hatte es verstanden. Daher konnte ich ihr jetzt die schlechte Neuigkeit beibringen.
»Du musst die Kreuze eintragen, denn du bist die ortskundige Expertin.«
Ich reichte ihr einen magischen Marker. Zwei Versuche waren erforderlich, weil sie ihn nicht nehmen wollte. Sie sah mit einem gequälten Ausdruck auf die Pläne. »Ich versage bei so etwas«, klagte sie. »Das ist fast wie Mathematik. Ich habe Geisteswissenschaften studiert, klar?«
»Wir machen es zusammen«, versprach ich. »Pen, du liest aus dem Buch vor. Nicht alle Einträge – nur die, in denen der Geist erwähnt wird.«
»Soll ich mit verschiedenen Stimmen lesen?«, fragte Pen hoffnungsvoll.
»Da ist nur eine Stimme. Denk an Sourdust in Titus Groan , dann bist du auf dem richtigen Weg.«
Das schien ihr zu gefallen. »Das kann ich tun«, stimmte sie zu.
»Dann los!«
Wir legten los, aber Cheryl hatte recht, es war nicht leicht. Das Bauwerk hatte sich im Laufe der Jahre so verdammt oft verändert, und die Pläne – selbst die jüngsten – sahen so anders aus als das barocke, dreidimensionale Labyrinth, zu dem das Archiv geworden war. Andererseits waren Peeles Notizen akribisch, und er nannte stets alle Details. Ich entwickelte eine widerwillige Achtung vor dem Mann. Nach zwei Dutzend Sichtungen hätten viele Leute sich mit Dito-Zeichen zufriedengegeben, aber nicht Jeffrey. Jedes verdammte Mal nannte er, wer wann wo den Geist gesehen hatte sowie alle überflüssigen Details.
Wir zeichneten eine Sichtung nach der anderen in die Grundrisse ein.
Während wir damit beschäftigt waren, dachte ich an die fehlende Seite – einen leeren Fleck, umgeben von Informationen, die ich bis zu diesem Moment nicht einmal ansatzweise genutzt hatte. Aber im willkürlichen Fluss der Dinge, die am Ende dieses Nachmittags zusammenkamen, versteckte sich ein Muster. So musste es sein, und das Protokollbuch war noch immer der Schlüssel dazu.
Jede Sichtung erhielt ein Kreuz, und die Pläne sahen bald aus wie mit Fliegendreck übersät, als Cheryl nach und nach die Kreuze eintrug. Keller. Erdgeschoss. Keller. Erdgeschoss. Zweiter Stock. Dritter. Sie hatte sich so gut wie nie im dritten Stock gezeigt – nur zweimal bei über den Daumen gepeilt achtzig Auftritten – und gar nicht im vierten. Stippvisiten im zweiten Stock hatten auch kaum stattgefunden, und dann nur in Tresorraum K oder im Flur davor. Im ersten Stock hatte man sie in einem halben Dutzend Räumen und im Flur gesehen, und im Erdgeschoss und Keller war sie sogar noch
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