Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
sie sich im Café Costella auf den Platz mir gegenüber fallen ließ. Sie schob sich eine Haarsträhne aus der Stirn und hatte Mühe, ihr breites Grinsen zu unterdrücken. »Tut mir leid, ich weiß, es ist nicht lustig. Ich muss aber lachen, wenn Alice derart ausflippt. Es ist genauso, als würde Admiral Nelson von seiner Säule herabsteigen, um sich mit einem Taxifahrer zu prügeln.«
»Du hast von einem Logenplatz zugesehen, wie sie mich zur Schnecke machte«, stellte ich tadelnd fest.
»Klar – und ich hätte leicht jede Menge weitere Plätze verkaufen können. Sie ist schon den ganzen Tag hinter dir her. Als sie mich fragte, ob ich dich gesehen hätte, log ich und meinte, du seiest gerade gegangen – und dann stellte sich heraus, dass du tatsächlich weg warst. Hätte ich deine Handynummer gewusst, hätte ich dich gewarnt. Aber du hast noch andere Aufträge, oder?« Am Ende dieser kleinen Rede schaffte sie es, besorgt statt wie dicht vor einem Lachanfall auszusehen.
Anstelle einer Antwort ergriff ich ihre Hand. »Cheryl«, sagte ich und sah ihr feierlich in die Augen, »ich möchte dich etwas sehr Wichtiges fragen.«
Sie verzog alarmiert den Mund. »He, es war eine gute Nummer, Felix, und ich mag dich auch und alles. Aber du kommst doch nicht etwa auf den dummen Gedanken …«
»Ich will, dass du für mich etwas stiehlst.«
Cheryls Gesicht leuchtete auf. »Eine Geheimoperation! Du bist ein Genie! Was denn?«
»Das Protokollbuch. Peele bewahrt es in seiner Schreibtischschublade auf.«
Das Leuchten erlosch. »Red keinen Unsinn! Wie soll ich das an Frank vorbeischmuggeln? Wenn er mich erwischt, fliege ich hochkantig raus – und kriege wahrscheinlich noch eine Klage an den Hals. Ich dachte, du meinst geheime Informationen oder so.«
Ich nickte. »Ich meine Informationen – aber ich brauche das Original, wie es so schön heißt, und du brauchst das Buch nicht an Frank vorbeizuschmuggeln.«
»Aber es gibt nur einen Weg aus dem …«
»Du wickelst es in einen Plastikbeutel und wirfst es aus dem Fenster des Zimmers, in dem wir heute Morgen unser kurzes Techtelmechtel hatten – so wie es jemand anders auch tut. Ich klettere später aufs Flachdach und hole es.«
Cheryl blinzelte. »Jemand stiehlt aus dem Archiv?«
»Ja. Das war in dem Plastikbeutel. Ein dickes Bündel Briefe und Papiere und mindestens ein gebundener Foliant. Einiges stammt aus der russischen Sammlung – aber es ist auch vieles dabei, das älter aussieht. Viel älter.«
Sie starrte mich missbilligend an. »Warum hast du nicht die Polizei gerufen?«
»Weil ich immer noch einen Job erledigen muss und weil viel mehr auf dem Spiel steht als ein paar alte Papiere. Ich will herausbekommen, warum Sylvie gestorben ist und welche Verbindung zwischen ihr und dem Archiv besteht. Eine Ladung Polizisten zu rufen, die den Laden erst mal schließen, macht es mir nur schwerer. Außerdem, wenn es nach Alice ginge, verhaften sie mich gleich mit. Nein, ich gehe zur Polizei, wenn ich mein Ziel erreicht habe.«
»Möchtest du in der Zwischenzeit von dem Zeug einiges auf eigene Rechnung verkaufen?«
»Nachahmung ist die aufrichtigste Form der Schmeichelei. Cheryl, ich bin da einer Sache auf der Spur, die um einiges größer und bedeutender ist als gestohlene Papiere – groß genug, dass, was immer Sylvie zugestoßen sein mag, lediglich ein Kollateralschaden war. Aber ich brauche dieses Buch. Ich wollte Peele fragen, ob er es mir leihen würde, als Alice dazwischen gegangen ist.«
Cheryl war offenkundig verwirrt. »Demnach trittst du jetzt für Sylvie an.«
»Ich werfe, ich schlage, ich fange und sammle Punkte.«
»Aber du sollst doch dafür sorgen, dass sie verschwindet. Deshalb haben sie dich geholt, nicht wahr?«
Es war mir zu wider, es auszusprechen: Ich wusste genau, wie lächerlich es klang. »Sie hat mir kürzlich nachts das Leben gerettet, daher bin ich ihr etwas schuldig.«
»Es dürfte schwierig sein, sich bei einer toten Person zu revanchieren«, stellte Cheryl fest und musterte mich erst mit großen, dann mit zusammengekniffenen Augen auf eine Art und Weise, die Bände sprach. »Du führst ein verdammt seltsames Leben, Felix.«
»Fix. Jeder, der mich halbwegs ertragen kann, nennt mich Fix.«
Sie sah auf die Uhr. »Frank ist sicher noch da«, überlegte sie. »Ich könnte sagen, ich müsste noch mal nach oben gehen, um meine Handtasche zu holen.«
Ich wartete und verfolgte einen Kampf widerstreitender Gefühle in ihrem Gesicht:
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