Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
ursprüngliche Treppe, die auf den Plänen zu sehen war und nicht mehr zum Archiv gehörte – und das erklärte wiederum, warum eine neue Treppe ein paar Meter abseits der alten eingezogen worden war.
Der scharfe, saure Geruch wurde um einiges ätzender.
Höchstwahrscheinlich war dieser Raum vom Gebäude abgetrennt worden, als es noch Staatseigentum gewesen war, vielleicht als eine Art Dienstwohnung für einen Beamten, dessen niederer Rang ihn nicht berechtigte, irgendwo am Admiralty Arch zu residieren. Oder man hatte ihn vom Rest des Hauses abgeschnitten, als zwei Ministerien um zusätzlichen Raum stritten. So oder so war er seitdem vergessen worden – aber nicht von jedem.
An der Treppe war ein weiterer Lichtschalter, aber als ich ihn drückte, ging das Licht im unteren Raum statt an der Treppe an. Ich ging vorsichtig hinunter, um bei der schwachen Beleuchtung nicht zu stolpern.
Der Kellerraum war noch trostloser als der im Erdgeschoss. Auch hier sah ich nur ein Möbelstück: eine Matratze, noch schmutziger als die Couch und nackt bis auf eine helle, rot und gelb karierte Decke – nun, einstmals hell war näher an der Wahrheit. In einer Ecke des Raums stand ein Eimer, gefüllt mit einer trüben Flüssigkeit, die sich als Quelle des ätzenden Gestanks entpuppte. Der Eimer hatte als Klosett gedient, desgleichen irgendwann auch der Fußboden um ihn herum. Auf dem Fußboden neben dem Eimer befand sich ein Eisenring, der wenig fachmännisch einzementiert war. Augenscheinlich gehörte er ursprünglich nicht zur Ausstattung dieses Raums. In einer Ecke lag auch ein zusammengerollter Strick.
Eine Gefängniszelle erkannte ich auf den ersten Blick. Jemand hatte hier bis vor Kurzem unfreiwillig gelebt. Einige andere Erinnerungen, die ich bei meinem kurzen psychischen Kontakt mit dem Geist aufgenommen hatte, tauchten wieder auf. Die Decke war darin vorgekommen, dessen war ich verdammt sicher, und Gabe McClennans Gesicht. Was hatte sich dahinter befunden? Schneebedeckte Berggipfel … ich wandte mich um und sah an der anderen Wand, in diesem klaustrophobischen Verlies nur ein kurzes Stück entfernt, ein an den Rändern zerfranstes Poster vom Mont Blanc mit der Inschrift L’Empire du Ski . Das Déjà-vu-Gefühl raste durch meinen Körper wie ein Nadelschauer.
Als ich den Kopf drehte, hatte ich unterschwellig noch etwas anderes bemerkt. Einen scharlachroten Fleck unter dem einen Ende der Matratze, fast direkt vor meinen Füßen. Ich ging in die Hocke und empfand eine Mischung aus Beklemmung und grimmigem Triumph. Ich näherte mich mit Riesenschritten der Antwort, dem Ursprung von allem. Ich schob eine Hand unter die Matratze, um sie hochzuheben, und ein Schmerz durchzuckte mich, als hätte ich ein blankes Stromkabel berührt. Von der Hand zum Arm, zum Herzen, in alle Richtungen.
Ich riss die Hand zurück und stieß einen Fluch aus.
Beziehungsweise versuchte ich, ihn auszustoßen, aber er wollte mir nicht über die Lippen kommen. Lautlosigkeit füllte meinen Mund, meine Kehle, meine Lunge. Lautlosigkeit senkte sich auf mich herab wie eine schmuddelige Decke, wie eine Glasglocke rutschte sie über meinen Kopf und meine Schultern, wie ein mit Chloroform getränktes Taschentuch.
Nein, das war Panik und Überreaktion. Ich war nicht benommen. Ich war nicht im Begriff, das Bewusstsein zu verlieren. Ich war nur unfähig, einen Laut von mir zu geben. Ich formte mit dem Mund Worte und versuchte, sie mit Atem anzutreiben, um sie hervorzubringen, aber nichts geschah. Meine Stimme war weg.
Als ich die Ecke der Matratze von oben anhob, diesmal vorsichtiger, konnte ich sehen, weshalb. Das Rot war kein Blut. Es war ein Kreis, aufgezeichnet mit dunkelroter Kreide, mit einem Pentagramm darin und einer Reihe sorgfältig ausgeführter Markierungen an jeder Spitze. Mit anderen Worten: ein Bannzeichen, das ein Exorzist hinterlassen hatte. Normalerweise lautete der Text, der in die Mitte eines Banns wie diesem geschrieben wird, ekpiptein – von dannen – oder hoc fugere – weiche von hier. Hier lautete er aphthegtos : sprachlos.
Ich richtete mich auf und schwankte ein wenig. Ich wusste jetzt, was McClennan hier getan und weshalb niemand im Archiv bei der Nennung seines Namens reagiert hatte. Er war nie im eigentlichen Archiv gewesen, sondern er war hierhergekommen, und das war es, weshalb man ihn gerufen hatte.
Aber warum den Geist zum Schweigen bringen, statt ihn zu vertreiben? Das ergab keinen Sinn. McClennan hatte kein
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