Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
wieder auf den Tisch. »Es muss irgendwo im Erdgeschoss sein«, brummte sie. Dann sah sie zu Pen und mir, um zu überprüfen, ob sie mit ihrer Logik richtiglag. »Im Erdgeschoss oder im Keller. Ich meine, der größte Kreis, in dem sie sich bewegt, muss sich auf der gleichen Ebene befinden wie … das Ding. Der Ort. Was auch immer.«
Pen nickte temperamentvoll. »Wo ist es?«, fragte ich. »Was befindet sich im Zentrum des Kreises?«
Cheryl fuhr mit dem Finger über den Hauptkorridor und murmelte vor sich hin: »Da ist das Empfangspult. Da sind die Tresorräume im Erdgeschoss. A, B, C. Die Damentoiletten …«
Sie verstummte, aber ihr Finger bewegte sich noch immer über den Parterreplan. Schließlich sah sie zu mir auf, ihr Gesicht ein einziges Fragezeichen. »Es haut nicht hin«, sagte sie. »Du irrst dich.«
»Warum?«, wollte ich wissen.
»Nun, dieser Raum hier – dort ist der Mittelpunkt, richtig? Er befindet sich genau im Mittelpunkt des Kreises, im Keller. Diesen Punkt scheut sie. Als Benennung steht auf dem Plan ZWEITER KONFERENZRAUM.«
»Ja, und?«, drängte ich sie mit einem leisen Anflug von Unbehagen. »Wie heißt er jetzt?«
»Er hat keine Bezeichnung mehr.« Cheryls Stimme klang gepresst. »Weil es ihn nicht mehr gibt.«
16
A cht Meter waren ungefähr acht Schritte, also zählte ich. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben. Acht. Gut. Jetzt eine Drehung um neunzig Grad und erneut zählen. Diesmal bis zehn. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben.
Dann kollidierte ich mit einer Wand und stieß in der Dunkelheit einen leisen Pfiff aus.
Cheryl hatte recht.
Trotz meiner anfänglichen Befürchtungen war es ein Kinderspiel gewesen, mit meinen Dietrichen ins Bonnington einzubrechen. Die interne Sicherheit war empfindlich wie die Hölle, aber die Eingangstür gab nach einem Mindestmaß an manueller Stimulation klein bei und stellte sich tot: Sämtliche Alarmvorrichtungen befanden sich Gott sei Dank an den Türen der Tresorräume, und die wollte ich nicht besuchen. Die Panzertür im hinteren Teil des Lesesaals, die zum Bereich des Gebäudes führte, zu dem nur das Personal Zutritt hatte, erwies sich als ein weitaus härteres Stück Arbeit und kostete mich zehn angespannte, schweißtreibende Minuten. Als Reserve hatte ich Cheryls Kennkarte in der Gesäßtasche, aber ich hoffte, sie nicht benutzen zu müssen, denn die Kartenlesegeräte an den Türen hatten wahrscheinlich eine Art internes Gedächtnis.
Ich war allein gekommen. Pen war mein Alibi für den Fall, dass irgendetwas schiefgehen sollte, und Cheryl brauchte nicht unbedingt in der Nähe zu sein, während ich in ihre Arbeitsstätte einbrach. Aber es wäre dennoch nützlich gewesen, sie bei mir zu haben. Es war schon schwierig genug, die Pläne in einer gut ausgeleuchteten Küche zu verstehen, doch sich mit ihrer Hilfe in einem dunklen Korridor bei nur spärlich hereinfallendem Mondlicht zurechtzufinden war offen gesagt eine ziemlich beschissene Angelegenheit.
Aber alles, was ich tat, war trotz allem nur Distanzen abzuschreiten. Wenn man erst einmal das logistische Problem gelöst hatte, war es nicht besonders schwierig. Fünfzehn Minuten des Herumirrens in der Dunkelheit und die begleitenden Kollisionen mit Wänden brachten mich zu der einzigen halbwegs sinnvollen Schlussfolgerung.
Es fehlte ein Raum. Der Gang führte in einer Weise um ihn herum, die, wenn man es wusste, offenbarte, dass dort etwas gewesen und herausgenommen worden war.
Ich versuchte es wieder im Keller und fand das Gleiche, nämlich eine weitere Lücke mehr oder weniger genau unter der ersten – nun jedoch gepaart mit dem neuen Rätsel einer Treppenflucht, die man sechs Meter weit den Korridor hinunterverschoben hatte. Warum nahm jemand so viele Mühen auf sich, um ein beträchtliches Stück aus einem öffentlichen Gebäude herauszunehmen?
Als ich die Antwort wusste, ging ich zurück ins Erdgeschoss und verließ das Gebäude genauso vorsichtig, wie ich es betreten hatte. Zurück auf der Straße, zählte ich meine Schritte wieder, aber ich wusste bereits, wo ich am Ende stehen würde.
Nämlich vor der Tür, an der ich am ersten Tag vorbeigegangen war, weil sie fast unter altem Müll verschwand und mit einer schief und krumm zurechtgesägten Hartfaserplatte bedeckt war. Weil sie augenscheinlich nicht benutzt wurde und nirgendwohin führte. Sie war ein Wurmfortsatz, ein vergessenes und nutzloses Nebenprodukt der unorganischen Evolution, und genau sie starrte ich
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