Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
blieb verschwunden. Danach wurde die Fahrt fast luxuriös. Ich empfehle sie jedem, der sekundenbruchteilkurze, unzusammenhängende Impressionen von London gewinnen will, während er sich halb zu Tode friert und mit den Auswirkungen eines klinischen Schocks ringt.
Natürlich war es von Brixton eine lange Wanderung nach Hause. Aber man kann nicht alles haben.
*
Es war eine logische Schlussfolgerung, dass ich es in einem Stück bis nach Hause schaffte, denn ich konnte mich erinnern, dass Pen die hässliche Wunde in meinem Bein mit TCP behandelte, während Cheryl hinter mir stand, die Faust auf den Mund gepresst, und so oft »Scheiße« sagte, dass es zu einem bedeutungslosen Laut verkam.
»Du stinkst«, stellte Pen in strengem Ton fest.
»Ich dusche gleich«, antwortete ich benommen. Ich wusste nicht, was ich damit meinte. Es waren nur Geräusche, aber es war nach meinem Kontakt mit McClennans Schweigebann immer noch neu für mich, wieder etwas Akustisches von mir geben zu können, und Pen hörte ohnehin nicht zu, daher war ich nicht verpflichtet, etwas Sinnvolles zu sagen.
»Es ist der gleiche Geruch, der in deinem Zimmer geherrscht hat, nachdem dieses Ding das Fenster rausgerissen hatte«, sagte sie. »Du hast sie wiedergesehen, nicht wahr?«
Ich krümmte mich unwillkürlich, als ich mich an den dunklen Raum, den betäubenden Gestank, die höhnische Stimme aus den tiefen Schatten erinnerte. »So viel habe ich von ihr gar nicht gesehen, um ehrlich zu sein.«
»Er fühlt sich immer wieder zu den falschen Frauen hingezogen«, sagte Pen säuerlich über meinen Kopf hinweg zu Cheryl.
»Ja, mir geht es mit den Kerlen genauso«, meinte Cheryl melancholisch. »Man glaubt immer, man wisse, worauf man sich einlässt, aber eigentlich tut man das nie.«
Sie setzten ihre Unterhaltung fort, aber mein Geist schaltete auf eine andere Frequenz, und ich hörte sie nicht mehr. Der Geist konnte nicht sprechen. Er wurde zum Schweigen gebracht – absichtlich, durch Zauberei von Gabe McClennan, vermutlich auf Geheiß von – Damjohn? Weshalb? Was könnte er sagen, das für ihn eine Gefahr darstellte? Wenn er sie getötet hatte, wenn sie ihn belasten konnte, warum konnte sie nicht einfach exorziert werden, und alles wäre erledigt gewesen?
Welche Verbindung bestand zwischen Damjohn und dem Archiv? Welchen mit Sicherheit fast schmerzhaft ins Auge springenden Punkt übersah ich? Betätigte sich der Zuhälter und Schmuddelkönig nebenbei etwa noch im Kunstraub-Geschäft?
IN 7405 818. Das war der einzige solide Hinweis, dem ich nachgehen konnte. Jemand im Bonnington hatte die Telefonnummer von Damjohns Club Kissing the Pink in seiner Rolodex-Kartei, jederzeit zur Hand für den Fall, dass – was? Sollte es so etwas wie ein letzter Unterschlupf sein? Zwecks regelmäßiger Berichte und Zwischenstandsmeldungen? Um unvorhergesehene Krisen zu meistern wie zum Beispiel einen Fremden, der an Orten herumschnüffelte, an denen er nichts zu suchen hatte?
Höchstwahrscheinlich hatte ich dabei irgendeinen Blick erhascht. Nicht auf das Wer und gewiss nicht auf das Warum, sondern auf das Gefüge dessen, worin die Antwort verborgen war. Noch konnte ich es nicht genau ausdrücken, aber ich glaube, ich hätte seine Melodie spielen können, als wäre es ein Schemen, den ich wecken und dann mit einem Abbild versehen wollte. In diesem Augenblick war das jedoch kein großer Trost.
17
W ieder in Hampstead, lange bevor ich dazu bereit war. In der sonnendurchfluteten Stille eines sehr frühen Sams- tagmorgens benutzte ich den Löwenkopf-Türklopfer. Ich hatte mir den Freitag freigenommen, um mich zu erholen, aber ich war immer noch steif und voller Schmerzen und hatte das Gefühl, als würde ich die eine oder andere Gliedmaße verlieren, wenn ich mich zu schnell bewegte. Ich fragte mich düster, ob ich das richtige Leben führte. Die Antwort erhielt ich, als sich die Tür öffnete, der süße Duft von Sandelholz herausdrang und Barbara Dodson in Jeans und engem T-Shirt vor mir stand.
»Er ist im Arbeitszimmer«, sagte sie und trat einen Schritt zurück, um mich vorbeizulassen. »Sie können gleich durchgehen.«
Ich trat ein. »Wie geht es Sebastian?«, fragte ich.
Sie sah mich lange und gedankenvoll an. »Sebastian ist toll in Form. Glücklicher als je zuvor, seit wir hierhergezogen sind. Peter hingegen tut sich ein wenig selbst leid. Wir kriegen kein Wort aus ihm heraus.«
»Höchstwahrscheinlich nur eine Phase, die er durchmacht«, vermutete
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