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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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werden im Gegensatz zu den anderen keine Wahlplakate drucken. Unser Slogan wird sein:
Kein einziger Baum muss sterben, wenn wir uns für das Amt bewerben.
Ökologische Wähler ansprechen. Das allein bringt uns wahrscheinlich ein paar tausend Stimmen.«
    »Und Geld gespart ist auch noch.«
    »Sie haben an alles gedacht«, sagte Nettelbeck mit einem kleinen Rechtsanwaltslächeln. »Mit ökologischem Bewusstsein und mit familienfreundlicher Gesinnung ins Amt – das hat vielleicht doch Aussichten!«
    Er sah auf die Uhr.
    »Wenn Sie noch Fragen haben, können Sie mich natürlich jederzeit anrufen. Aber ehrlich gesagt: Ich sehe keine großen Chancen. Für das Bürgermeisteramt schon, aber für die Doppelspitze – vielleicht überlegen Sie sich das noch einmal –«
    Er stand auf, verstaute seine Papiere sorgfältig in seiner Mappe und verabschiedete sich.
    »Kein großen Chancen!«, sagte Ignaz enttäuscht, nachdem der Rechtsanwalt gegangen war. »Wir hätten vielleicht doch lieber den Dottore Foscolo konsultieren sollen. Oder aber wir vergessen das mit dem Zwillingsamt.«
    »Ach was!«, tröstete ihn Ursel. »Wir lassen uns doch von dem Preußen, dem advokatischen, nicht entmutigen. Da finden wir schon einen Präzedenzfall für uns. Wir werden doch nicht schon gleich am Anfang unsere Pläne über den Haufen werfen. Das kommt gar nicht in Frage. Ich glaube, ich habe auch schon eine Idee, wo ich suchen könnte.«

12

    Z u Graf Folkharts Zeit sind die meisten europäischen Städte finstere Brutplätze schrecklicher Seuchen. In den engen Gassen sammelt sich Unrat und Schmutz. Die wahren Herrscher sind Blutfluss, Abweiche und Schweißfieber. Lediglich Rom macht da eine Ausnahme. Dort gibt es eine durchdachte Kanalisation und funktionierende Abwasseranlagen. Geschäftstüchtige Händler bieten für einen kleinen Aufpreis frische, unverdorbene Lebensmittel an. Es gibt sogar gekochtes Wasser, man kann es trinken, und man kann sich darin baden. Die Straßen werden in regelmäßigen Abständen gereinigt, die größeren sind mit schattenspendenden Bäumen bepflanzt. Auf einer dieser Straßen, auf der steingepflasterten Via Appia, bewegt sich der Tross des Grafen Folkhart von Herbrechtsfeld. Die waffenstarrenden Regensburger mit den getönten Augengläsern halten nach allen Seiten Ausschau. Viel Diebsgesindel soll hier unterwegs sein, geschickte Beutelschneider und flinkfingrige Trickbetrüger – so hat man es jedenfalls gehört.
    »Das ist also die heilige Stadt!«, ruft Odilo, der Leibdiener von Folkhart, ehrfürchtig aus. »Ja, leck mich fett, wo wohnt denn jetzt der Papscht?«
    Folkhart antwortet nicht. Er ist mit den Gedanken schon wieder bei neuen Vertragsformulierungen. Und bei dem FAVOR CONTRACTUS , dessen Bedeutung ihm immer mehr bewusst wird.
     
    Sie beziehen Quartier. Folkhart hat noch zusätzlich zwei Wundärzte engagiert, die ihn im Fall der Fälle kurieren sollen. Der Graf ahnt aber auch, dass die Wundärzte im Fall der Fälle ziemlich unnütz sein werden. Weil er warten muss, bis Bischof Emicho bereit ist, ihn zu empfangen, geht er in der Stadt spazieren und hat dort ein bemerkenswertes Zusammentreffen mit einem tiefschwarzen Mohren aus dem Hochland von Abessinien. Der Mohr hat einen unaussprechlichen Namen mit vielen sonderbaren Schnalz-, Klick- und Reibelauten, die man im Abendland nicht kennt.
    »Ihr könnt mich einfach Anonymus nennen«, sagt der Mohr.
    Der Mohr ist, wie schon sein Vater und sein Großvater, Geschichtenerzähler auf den Plätzen der Stadt, er findet dort viel Gehör, weil er die alten Heldendichtungen lebendig und anschaulich vorträgt. Alle Geschichten von Anonymus spielen in seiner heißen südlichen Heimat. Eine Geschichte lieben die Zuhörer besonders. Es ist das schöne, schaurige und endlos lange Lied von dem starken Urwaldhelden, der von einem tyrannischen Zwergenkönig einen gewaltigen Schatz und eine unsichtbar machende Tarnkappe gewinnt. Er kämpft daraufhin mit einem Drachen, besiegt ihn, badet in dessen Blut und wird so unverwundbar.
    »Eine der unverwechselbaren Geschichten aus meiner abessinischen Heimat«, sagt Anonymus.
     
    Folkhart von Herbrechtsfeld ist begeistert. Solche Lieder singen die Gaukler und fahrenden Gesellen auf den Marktplätzen des Reiches nicht. Bei den Nürnberger und Leipziger Bänkelsängern hört man immer nur langweilige und erbauliche christliche Legenden von Demut und Vergebung. Aber dieser Anonymus! Bei seinen Geschichten geht es um Verrat,

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