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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Einheimischen im Werdenfelser Gebiet vom
Boarnland
, wenn sie das Land nördlich des Loisachtales meinen. Der Kurort scheint für sie nicht zum Bayernland zu gehören. Der Grund für diese eigenartige Formulierung liegt wohl darin, dass der kleine Zipfel dort unten im Süden als ehemalige Reichsgrafschaft Werdenfels lange Zeit nicht zum bayrischen Herrschaftsgebiet gehörte und erst vor gut zweihundert Jahren vom bayrischen Löwen verspeist wurde. Das Werdenfelser Land war durchaus nicht bayrisch, ›bayrisch‹ war dort vielmehr ein Synonym für königliche oder herzögliche Verschwendungssucht, für großstädtische Unkenntnis der Landwirtschaft, niederbayrische Hopfenzählerei oder fränkische Reblausbekämpfung. Das Werdenfelser Land war bis zum Jahr 1803 eine freie Grafschaft, nach allen Seiten hin geschützt durch die Berge, militärisch kaum angreifbar und noch dazu im Wohlstand lebend durch den florierenden Handel mit Venedig.
    »Wir fahren ins Boarnland ’naus.«
    Das klang immer schon so, als führe man aus der gesicherten Alpenfestung ins unwirtliche Flachland, in die kargen Landstriche um das protzige Munichen oder das schon fast preußisch empfundene Nourenberc. Zuerst der Garten Eden, dann Betlehem und drittens die Grafschaft Werdenfels – so stellte und stellt sich der Alpenbewohner die drei Dependancen des Herrgotts vor. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, dass sich die Werdenfelser immer noch als eigene Gewächse fühlen, als außergewöhnliche Minderheit, vergleichbar der dänischen Minorität ganz oben im meerumschlungenen Schleswig-Holstein. Der Eigensinn des alpenumschlungenen Werdenfelsers ist legendär. Die Rebellion ist hier zu Hause, das Anarchische und das Rappelköpfige hat hier seinen Platz. Hier wird gewildert, hier wird Schnaps gebrannt, und oben im Wettersteingebirge brauen urgermanische Gottheiten den Föhn. Es ist nur konsequent, dass das Gerücht, die Familie Grasegger wäre drauf und dran, sich für das Bürgermeisteramt zur Verfügung zu stellen, begierig aufgenommen wurde. Auf dem Wochenmarkt hatte sich das schon herumgesprochen.
     
    »Zwei Leichengraber in der Politik!«, sagte der Ammerschläger Martin am Stand des grantigen Gemüsetandlers. »Das wäre einmal ganz was Neues!«
    Viele stimmten zu.
    »Die würden schon einen frischen Wind hineinbringen!«
    »Die haben eine Bodenständigkeit. Eine Verwurzelung. So etwas bräuchten wir.«
    »Die täten gegen die Landeshauptstadt was auf die Waage bringen!«
    »Aber was glaubst du, wer wird kandidieren – er oder sie?«
    »Beides hätte seine Vorteile.
Er
ist ein bauernschlauer Fuchs. Der kennt das Leben und die Leute. Der tatat sich nicht so leicht über den Tisch ziehen lassen.«
    »Und
sie
 – die hat doch eine Goschn! Die kann verhandeln. Die tatat alle über den Tisch ziehen!«
    (Zweimal
tatat
, das müsste vielleicht erklärt werden. Das a wird zweimal hell ausgesprochen wie in L
a
tte m
a
cchi
a
to, also fanfarenartig, und das hat durchaus seinen Grund, denn hier haben wir es mit dem oberbayrischen reduplikativen Konjunktiv (›Doppelmoppler‹) zu tun, der die Sache nicht etwa zweifelhafter macht, sondern im Gegenteil fanfarenartig verstärkt: »Die
tat
alle über den Tisch ziehen«: es ist möglich, dass sie das macht; »die
tatat
alle über den Tisch ziehen«: sie macht es irgendwann ganz sicher.) [2]
    »Aber wenn er so ein Fuchs ist und sie so eine Goschn hat, dann wäre es doch am besten, wenn sie gleich alle beide –«
    Alle verstummten, denn der Bürgermeister erschien. Das leibhaftige, momentan amtierende Gemeindeoberhaupt. Mit eingehängter Gattin durchstreifte er den Markt, ganz leger, ganz hemdsärmelig, wie um zu zeigen, dass auch er ein Werdenfelser war wie jeder andere auch. Er kaufte zwei Kohlrabiköpfe.
     
    Der Florist band Blumen, der Gemüsetandler grantelte vor sich hin, der Markt füllte sich zusehends. Den leichtgewichtigen Skispringer, der beim Fischhändler Meeresfrüchte aussuchte, hatte leider immer noch niemand erkannt, überall hatten sich lange Schlangen gebildet. Alles war wie immer am Wochenmarktfreitag.
     
    Nur den Mann, der sich beim Würschtlmo gerade einen rostroten Chiliknackbratspritzer auf den Grill legen ließ, hatte hier noch niemand gesehen. Er schien ein drahtiger alter Bursche zu sein. Fernglas, Rucksack und Hut wiesen ihn als erfahrenen Wanderer aus. Wer genauer hinsah, konnte erkennen, dass ein kleines Kästchen an seiner Brust baumelte. Das sah nach Hightech

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