Fenster zum Tod
aber heute ist mein Bowling-Abend mit George junior.«
Er legte auf. Nicole sah ihn an und wartete auf eine Erklärung.
»Telefonstreich«, sagte er. »Irgendein Idiot, der sagt, er sei Bill Clinton.«
Ich warf Thomas einen Blick zu. Ich sah bestimmt verblüffter drein als er, denn er wirkte gar nicht überrascht, sondern eher verärgert, dass er nicht mit dem ehemaligen Präsidenten hatte sprechen können.
Siebenundfünfzig
W äre da nicht das Klebeband gewesen, hätte ich wahrscheinlich etwas wie Heilige Scheiße gesagt.
Aber weder Nicole noch Lewis schenkten dem Anruf weiter Beachtung. Sie hatten andere Dinge im Kopf. Zum Beispiel mit Thomas und mir die Kurve zu kratzen.
Lewis ging mit dem Computer voran. Nicole bedeutete uns mit dem Eispick, ihm zu folgen. Als wir den oberen Treppenabsatz erreichten, sah ich die Haustür hinter Lewis zufallen. Ich überlegte, ob ich mit meinen gefesselten Händen irgendetwas tun konnte, jetzt, wo Nicole mit uns allein war.
Aber was? Sie hatte eine Waffe, und ich keine freie Hand. Losrennen wäre das Einfachste gewesen, vorbei an Thomas, zur Hintertür hinaus in die Nacht. Den Hang hinunter zum Bach, durchwaten, und sobald ich die Felder auf der anderen Seite erreicht hätte, geduckt weiterrennen, bis ich zu einem Haus kam, von dem aus ich die Polizei anrufen konnte.
Das hätte bedeutet, Thomas allein zu lassen, aber ihn – vorübergehend – im Stich zu lassen, wäre vielleicht die einzige Chance, ihn letztendlich zu retten.
Ich spielte noch mit dem Gedanken – da rannte Thomas plötzlich los.
Er nahm die letzten paar Stufen auf einmal. Ich rechnete damit, er würde tun, was ich gedacht hatte, und nach hinten laufen, doch er schaffte es gerade noch, seinen Fuß in die Haustür zu schieben, bevor sie zufiel. Er stieß sie auf und rannte hinaus auf die Veranda.
Es war kein Fluchtversuch. Thomas war hinter seinem Computer her.
»Lewis!«, rief Nicole zwei Stufen über mir. Noch ehe ich reagieren konnte, packte sie mich am Hemdkragen. »Nicht mal dran denken«, zischte sie und verlieh ihrem Befehl Nachdruck, indem sie mich die Spitze des Eispicks an der weichen Stelle unter meinem rechten Ohr spüren ließ.
Draußen hörte ich etwas krachen, dann das Knirschen von Kies.
Gemäßigten Schrittes brachten wir die letzten Stufen hinter uns. Als wir das Haus verließen, lag Thomas bereits auf dem Rücken und sah zu Lewis hoch. Mit seinen auf dem Rücken gefesselten Händen lag er seltsam verkrümmt da. Ein paar Meter entfernt lag der Computer hinter einem weißen Transporter.
Lewis zerrte Thomas hoch. Dann stellten er und Nicole sich hinter uns vor die noch geschlossenen Hintertüren des Fahrzeugs.
Nicole streckte die Hand nach Lewis’ Rucksack aus. Er warf ihn ihr zu, und sie holte noch einmal das Gewebeband heraus. Sie fesselte erst mich, dann Thomas an Knien und Knöcheln. »Hier geht’s rein«, sagte sie und öffnete beide Flügel der fensterlosen Heckklappe. Als Erste sah ich einen großen Laderaum, dahinter die beiden Sitze. Auf dem Boden lag etwas. Anscheinend ein Stapel gefalteter Umzugsdecken.
Lewis holte etwas aus dem Rucksack, das wie Skimasken aussah, mit Löchern für Augen, Mund und Nase.
Er zog mir eine über, allerdings so, dass die Löcher auf dem Hinterkopf waren. Ich hörte Thomas knurren, als er seine Maske aufgesetzt bekam. Jemand nahm mich bei der Schulter – ich tippte auf Nicole, weil die Hände sich kleiner als Männerhände anfühlten – und ließ mich eine Vierteldrehung machen. »Zwei Hopser, und Sie sind an der Stoßstange«, sagte sie. »Dann setzen Sie sich hin und rutschen rein.«
Ich brauchte drei und fiel beim dritten beinahe hin. Dann spürte ich die Stoßstange an meinem Knie. Ich drehte mich um, setzte mich auf den Rand und beugte mich vorsichtig nach hinten, bis ich mit dem Oberarm den Laderaumboden berührte. Dann schob ich mich rückwärts in das Fahrzeug hinein.
»Los, Blödmann«, sagte Lewis zu Thomas. »Hier rüber.« Ich spürte, wie der Transporter unter Thomas’ Gewicht ruckelte. »Und weiter rein.«
Dann sprach wieder Nicole. »Wir werden ein paar Stunden unterwegs sein. Keinen Mucks von euch. Wir werden anhalten. Maut, Benzin. Möglich, dass jemand ans Fenster kommt, was sagt. Wenn ihr Dummheiten macht, seid ihr tot. Und sollte jemand was mitbekommen, ist der auch tot.«
»Wir müssen gleich tanken«, sagte Lewis. »Die Fahrt von Burlington war ziemlich lang.«
Neben mir hörte ich ein Reiben von Stoff.
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