Fenster zum Tod
erregte ihre Aufmerksamkeit. Und dieses Etwas war noch beunruhigender als der fehlende Computer.
Eine weiße Plastikfessel.
»Nein«, flüsterte sie.
Sie rannte nach oben und zur Hintertür hinaus. Vom oberen Endes des Hanges, der zum Bach hinunterführte, rief sie nach Ray und Thomas. Dann lief sie zur Scheune und rief noch einmal.
»Verdammt«, sagte sie und rannte zu ihrem Wagen zurück.
Wie lange war sie schon hier? Keine fünf Minuten. Aber ein Transporter konnte in der Zeit locker fünf Kilometer weit gefahren sein. Wie sollte sie den noch einholen?
Trotzdem wendete sie in Windeseile ihren Wagen und war schon auf achtzig, als sie aus der Einfahrt schoss. Der Wagen schleuderte, und beinahe hätte sie die Kurve auf nur zwei Reifen genommen. Dann war sie auf der Straße und fuhr mit Vollgas in die Richtung, die der Lieferwagen eingeschlagen hatte.
Bald würde die erste Kreuzung kommen, wo sollte sie dann hin? Links? Rechts? Geradeaus? Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wo der Wagen hinwollte, und ebenso wenig wusste sie, ob Ray und Thomas überhaupt darin waren.
»Scheiße!«, rief sie. Warum hatte sie Ray nicht einfach auf dem Handy angerufen?
Ihre Handtasche lag auf dem Beifahrersitz. Sie wühlte mit einer Hand darin herum, bis sie ihr Handy gefunden hatte. Sie hielt es sich vors Gesicht, ein Auge auf die Straße, eins auf das Telefon gerichtet, rief Rays Nummer auf und drückte.
Sie hob das Handy ans Ohr. Mit der linken Hand umklammerte sie das Lenkrad. Es klingelte. Einmal. Zweimal –
»Komm schon! Geh schon ran, blödes Arschloch!«
Nach dem siebenten Klingeln meldete sich die Mailbox. »Hi, hier ist Ray. Leider kann ich –«
»Verdammt!«, schrie Julie, aber nicht, weil Ray nicht abhob. Sie stieg mit voller Kraft auf die Bremse, ließ das Handy los, um mit beiden Händen das Lenkrad festhalten zu können, und fuhr an den Straßenrand.
Da vorne an der Tankstelle war der Lieferwagen.
Ein Mann stand daneben und tankte an der Selbstbedienungssäule. Von ihrem Platz aus konnte sie die Wagenfront nicht sehen, meinte aber, einen Ellbogen im Fahrerfenster ausmachen zu können.
Was tun? Sie war sich nicht einmal sicher, ob es derselbe Lieferwagen war, den sie vorhin aus der Einfahrt hatte kommen sehen. Auf jeden Fall sah er so aus. Nutzfahrzeug, keine Seitenfenster. Sollte sie auch an die Tankstelle fahren? Sich an die Zapfsäule daneben stellen? Nachsehen, wessen Ellbogen das war? Ob sonst noch jemand im Wagen war?
Sie musste immer an Allison Fitch denken. Und an das tote Paar in Chicago. Wenn die Leute, die für deren Tod verantwortlich waren, herausbekommen hatten, dass Ray an der Wohnungstür geklopft hatte, dann –
Der Mann schloss den Tankdeckel, hängte die Zapfpistole wieder ein und ging in den Laden, um zu bezahlen. Er zahlte also bar. Denn an der Säule konnte man auch mit Karte zahlen.
Viele Leute zahlten bar.
Aber wenn man nicht unnötig Spuren hinterlassen wollte, benutzte man bestimmt keine Kreditkarten.
Ehe Julie einen Entschluss fassen konnte, wurde ihr die Entscheidung abgenommen. Der Mann kehrte zurück und stieg auf der Beifahrerseite ein. Das Schlusslicht leuchtete auf – nur das eine, es war also der richtige Lieferwagen –, und der Wagen fuhr hinaus auf die Straße.
Julie nahm den Fuß von der Bremse und folge ihm. Nicht zu dicht. Zu dieser späten Stunden waren nicht viele Autos unterwegs, und der Lieferwagen war groß und eckig, und dazu noch weiß, den konnte sie gut im Auge behalten.
An ein, zwei Kreuzungen wurde der Wagen langsamer, so, als wisse der Fahrer nicht, wo er war oder wohin er wollte. Doch bald hatte er den Weg zur Interstate gefunden und nahm dort die Auffahrt Richtung Süden.
Zwei Stunden Fahrt, und er wäre in New York City.
Julie warf einen Blick auf die Tankuhr. Ihr Tank war noch halb voll. Sie hoffte inständig, dass der Lieferwagen, wo immer er hinfuhr, sein Ziel erreichte, bevor ihr der Sprit ausging.
Sobald sie auf der Interstate waren, ließ Julie sich ein gutes Stück zurückfallen, um den Fahrer nicht auf sich aufmerksam zu machen. Ihr Handy lag irgendwo im Fußraum vor dem Beifahrersitz. Sie schnallte sich ab und bekam mit ein paar zirkusreifen Verrenkungen das Mobiltelefon mit der rechten Hand zu fassen. Es gelang ihr, die Spur zu halten, obwohl ihr Kopf bei diesem Manöver sogar einen Augenblick unter dem Armaturenbrett verschwand.
Den Blick mal auf das Handy, mal auf die Fahrbahn gerichtet rief sie die Polizei in Promise
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