Fenster zum Tod
beiden Weißweinflaschen inzwischen für eine halbe Stunde in die Gefriertruhe legen.
O Mann, dieses Getue um Alkohol, das war ja wie in der Highschool. Allerdings musste sie zugeben, dass ihre Einstellung sich dazu seit damals nicht wesentlich geändert hatte. Scheißegal, welche Farbe das Zeug hatte, bevor man es trank, Hauptsache hinterher war man blau. Und wenn sie Glück hatte, schafften sie heute vielleicht den Schlussakt zu der Ouvertüre vom letzten Mal.
Sie musste nicht in die Redaktion zurück, um über diese Sitzung zu schreiben. Der Standard hatte ein Büro im Rathaus, auf einem der Computer dort würde sie den Bericht über diese lächerliche Debatte herunterklopfen, ihn weiterleiten und abhauen, so schnell sie konnte. Die Idioten mussten über so was auch noch beraten? Sie war erstaunt, dass es überhaupt jemanden gab, der es für eine gute Idee hielt, Rosen, Tulpen und Rhododendren durch die Gesellschaft geschmackloser Werbeschilder zu beleidigen. Man brauchte wohl wirklich kein Hirn, um ein öffentliches Amt zu bekleiden, Wählerstimmen genügten.
Statt sich hier zu langweilen hätte Julie lieber wegen Allison Fitch herumtelefoniert. Wer sie war, warum sie verschwunden war, wieso sie Monate nach ihrem Verschwinden aus ihrer New Yorker Wohnung plötzlich tot in Florida aufgetaucht war. Sie witterte eine Story, aber sie wusste, sollte es tatsächlich eine werden, würde sie es verdammt schwer haben, die Herausgeber des Standard dafür zu erwärmen. »Was hat das mit Promise Falls zu tun?«, würden sie fragen. Sie würde sie mit dem Lokalbezug ködern müssen. Mit Thomas nämlich, der ohne es zu wollen, darauf gestoßen war, während er die Welt auf Whirl360 erforscht hatte.
Das ließ sie einen Moment innehalten.
Würde es Thomas recht sein, Teil dieser Story zu werden? Was würde Ray dazu sagen? Sie hatte schon jede Menge Storys geschrieben, ohne sich darum zu kümmern, was sie den Protagonisten damit vielleicht antat, doch diesmal war es anders.
Sie würde schon einen Weg finden.
Die Debatte über die Werbung in städtischen Grünanlagen endete mit dem heroischen Beschluss, keinen Beschluss zu fassen und einen Ausschuss mit der Prüfung der Angelegenheit zu beauftragen. Alle anderen Tagesordnungspunkte waren von noch geringerer Bedeutung, also packte Julie ihre Sachen und schickte ihren Bericht vom Standard -Büro im Rathaus ab. Dann stieg sie ins Auto, griff in den Fußraum hinter dem Beifahrersitz, um sich zu vergewissern, dass die Getränke noch da waren, und fuhr hinaus zum Haus der Kilbrides.
Sie war noch etwa zweihundert Meter vom Haus entfernt, da sah sie einen weißen Kastenwagen aus der Einfahrt und auf sie zu kommen. Die Scheinwerfer huschten vorbei. Sie konnte nicht erkennen, wer am Steuer saß, und bemühte sich auch nicht besonders darum. Sie fand nichts Besonderes dabei. Sie war sich auch nicht ganz sicher, ob der Wagen tatsächlich aus Rays Einfahrt gekommen war.
Im Außenspiegel erhaschte sie jedoch noch einen Blick auf das davonfahrende Fahrzeug und bemerkte, dass nur ein Schlusslicht brannte.
Julie blinkte, bog in die Einfahrt, rollte langsam auf das Haus zu, das in Festbeleuchtung erstrahlte. Nicht nur im Wohnzimmer waren alle Lampen an, auch in Thomas’ Zimmer sah sie Licht. Rays Auto stand vor dem Haus, daneben der alte Chrysler seines Vaters.
Sie holte die Flaschen aus dem Fond ihres Wagens, stieg zur Veranda hinauf und klopfte. Als sich auch nach zehn Sekunden nichts rührte, rief sie: »Ray? Ich kann doch den ganzen Wein nicht allein trinken … Obwohl …«
Keine Antwort.
Sie ging ins Haus, stellte die Tasche mit den Flaschen auf den nächstbesten Stuhl und warf einen Blick in die Küche. Keiner da. Sie ging zur Treppe und rief nach oben: »Jemand zu Hause?«
Zwei Stufen auf einmal nehmend, ging Julie die Treppe hinauf. Zuerst steckte sie den Kopf in Thomas’ Zimmer, dann ins Gästezimmer, dann in das ehemalige Schlafzimmer von Rays Vater. Die Badezimmertür stand offen.
Da war etwas im Zimmer von Thomas.
Julie machte kehrt und ging hinein. Jetzt nahm sie bewusst wahr, was gerade eben nur ein Gefühl gewesen war. Ein Gewirr von Kabeln auf dem Schreibtisch. Alle drei Bildschirme waren dunkel.
Der Computer war weg.
»Was soll …«, murmelte Julie.
Sie ging wieder nach unten. Auf dem Weg in die Küche bemerkte sie das Licht hinter der offenstehenden Kellertür. »Jemand da unten?«, rief sie.
Keine Antwort. Trotzdem ging sie hinunter. Etwas auf dem Boden
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