Fenster zum Tod
ich, »dann rufen Sie ihn doch an.«
»Wie bitte?«, fragte Howard.
»Vachon. Rufen Sie ihn an.«
Howard lachte. »Grandiose Idee! Ich rufe das Oberhaupt eines der mächtigsten Verbrecherclans mitten in der Nacht an. Der würde sich bestimmt freuen.« Dann wurde er wieder ernst. »Warum sollte er Thomas nicht aus den Augen lassen? Was für einen Grund habe ich, zu glauben, dass Ihr Bruder in diesem Moment beobachtet wird?«
»Wenn Sie ein Talent wie Thomas hätten, würden Sie nicht aufpassen, dass ihm nichts passiert?«
Ich entdeckte einen Schimmer von Besorgnis in Howards Augen. Ich glaube nicht, dass er mir das abnahm, aber es völlig abzutun, schien ihm auch nicht ratsam.
»Angenommen, Ihre kleine Geschichte ist wahr«, sagte Howard. »Angenommen, Carlo Vachon ist Thomas’ Schutzengel. War es Vachon, der ihn auf dieses Fenster gebracht hat?«
Welche Antwort war besser? Ja, Vachon war hinter Ihnen her, oder nein, er hatte nicht die leiseste Ahnung von diesem Mord? Hätte ich eine Ahnung gehabt, wer in dieser Wohnung tatsächlich ums Leben gekommen war, hätte ich vielleicht die passende Antwort gewusst. Eine Zeitlang hatten wir gedacht, es sei Allison Fitch gewesen, aber die war erst vor kurzem gestorben. Bei Howards Ankunft hatte Lewis etwas von »Bridgets Leiche« gesagt. Ich wusste zwar nicht, wer Bridget war, aber vielleicht war sie ja das Mordopfer in der Orchard Street.
Während ich noch überlegte, sagte Thomas: »Ich habe es selbst entdeckt. Das habe ich Ihnen doch gesagt.«
Howard lehnte sich zurück und holte tief Luft. »Ich schwöre, ich habe keine Ahnung, was ich von dem Ganzen halten soll.« Er drehte sich um, damit er Lewis ins Gesicht sehen konnte. »Wenn das ein rein zufälliges Ereignis ist, wenn dieser Rain Man völlig unbedarft über dieses Bild im Internet gestolpert ist, dann wäre das das Ende unserer Probleme.«
»Ja«, sagte Lewis.
»Die Sache mit Clinton, die E-Mails an die CIA … wenn ich dem allen auf den Grund käme, würde ich nicht nur drei, sondern dreitausend Kreuze machen.« Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »Aber diese andere Sache, die mit Vachon …«
»Ich kauf ihm das nicht ab«, sagte Lewis.
Howard drehte sich so, dass er Nicole ansehen konnte. »Sie sind so still.«
Nicole antwortete nicht.
»Haben Sie irgendwelche Theorien dazu?«
Sie überlegte einen Moment. »Ich glaube, wenn die ein Auge auf Thomas hätten, dann säße er jetzt nicht mehr hier. Wenn Sie meinen, Ihre anderen Sorgen haben sich in Wohlgefallen aufgelöst, dann müssen Sie nur noch die zwei hier entsorgen.«
»Ja«, sagte Howard. »Sie haben vielleicht –«
Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass wir in diesem Moment alle vor Schreck erstarrten. Jemand hämmerte an die Ladentür.
»Herrgott!«, fluchte Lewis.
Howard sah mich an. »Sind sie das?« Mir fehlten die Worte. Da richtete er dieselbe Frage an Thomas.
»Vielleicht«, sagte Thomas.
Das Hämmern ging weiter. Dann rief jemand: »Howard! Howard, ich weiß, dass du da drin bist!«
Howard riss die Augen auf. In diesem Moment erweckte er zum ersten Mal seit seiner Ankunft den Eindruck, nicht mehr Herr der Lage zu sein.
»Lieber Gott«, sagte er. »Das ist Morris.«
Zweiundsechzig
K urz nach seinem Telefonat sagte Morris Sawchuck zu seiner Fahrerin Heather: »Ich warte jetzt nicht mehr länger. Ich will wissen, was der Hurensohn da drinnen treibt.«
»Ich warte«, sagte sie.
Morris stieg aus, lief über die Straße und hämmerte an die Tür des Spielzeugladens. »Howard! Howard, ich weiß, dass du da drin bist!«
Morris näherte sein Gesicht der Scheibe und legte die Hände links und rechts um den Kopf, um besser sehen zu können. Im hinteren Teil des Ladens brannte Licht. Dann wurde ein Vorhang zur Seite gezogen, und Howard kam zur Tür. Er zog den Riegel zurück und öffnete die Tür einen Spaltbreit.
»Schon wieder auf den Beinen?«, sagte Morris.
»Morris, mein Gott, was machst du hier?«
»Mach auf«, sagte Morris.
»Morris, du kannst nicht –«
Morris drückte die Tür mit der Schulter auf und versetzte Howard einen Stoß, so dass er rückwärts über ein altmodisches Tretauto stolperte. Er lag auf dem Boden und blickte zu Morris hoch.
»Was ist hier los?«, fragte Morris barsch.
»Du musst hier weg. Man darf dich hier nicht sehen. Du musst –«
»Ich muss gar nichts! Du hast mich angelogen, Howard! Du bist weder krank noch zu Hause im Bett. Und irgendwas sagt mir, dass du mich schon
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