Fenster zum Tod
Fotos verlieren. Und mit den Landkarten ist es genauso.«
Jetzt sah Howard mich an. »Meint er das ernst?«
»Ja«, sagte ich.
»Ist diese absonderliche Fähigkeit von ihm auch der Grund, warum Sie auf einmal vor der Wohnung in der Orchard Street auftauchten?«
Ich nickte. »Thomas hat sich gerade diese Straße eingeprägt, und dabei sah er die Frau am Fenster. Mit einer Tüte über dem Kopf.« Mein Mund war ausgetrocknet, ich leckte mir über die Lippen. »Er wollte, dass ich nachsehe, was es ist.«
»Wie kam er auf die Idee, danach zu suchen?«
»Er hat nicht danach gesucht. Er hat es einfach gefunden.«
»Nein«, sagte Howard. »Das glaube ich nicht. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist eine Milliarde zu eins.«
»Nein«, sagte Thomas. »Wahrscheinlich ist, dass ich irgendwann einmal alles sehe.«
Howard wandte sich an Lewis. »Was hältst du davon?«
»Keine Ahnung. Klingt mir aber ziemlich weit hergeholt. Vielleicht hat ihn jemand darauf angesetzt.«
»War’s so, Thomas? Hat Sie jemand darauf angesetzt?«
»Nein«, sagte der. »Niemand.«
»Nicht einmal Bill Clinton?« Howard ließ dieser Frage ein nervöses Lachen folgen.
»Nein, ich schicke ihm nur meine Arbeitsberichte. Er ist mein Kontaktmann zur CIA.«
»Aber er schreibt Ihnen nie zurück. Es gibt keine E-Mails im Posteingang oder im Papierkorb.«
»Er kommuniziert mit mir, aber nicht per E-Mail.«
»Kommuniziert? Wie?«
»Er spricht zu mir. Seit kurzem benutzt er das Telefon.«
»Was? Seine Stimme kommt einfach so zu Ihnen?«
Thomas nickte.
Ich war so beschäftigt mit den Ereignissen der letzten Stunden, dass ich gar nicht mehr an diesen Anruf gedacht hatte. Ich hatte noch immer keine Ahnung, was er zu bedeuten hatte. Doch jetzt überlegte ich, ob ich ihn vielleicht irgendwie zu unserem Vorteil nutzen konnte. Die drei tappten offensichtlich genauso im Dunkeln wie ich.
Howard schüttelte den Kopf und sagte zu Lewis: »Völlig ausgeschlossen, dass dieser komische Kauz mit dem früheren Präsidenten redet.«
»Ganz meine Meinung«, sagte Lewis.
»Thomas«, fuhr Howard fort, »sind Sie in ärztlicher Behandlung? Bei einem Psychiater?«
»Ja. Bei Dr. Grigorin.«
»Und verschreibt er Ihnen Medikamente?«
»Dr. Grigorin ist eine Frau«, sagte Thomas. »Ja. Die lassen die Stimmen verschwinden. Im Großen und Ganzen. Aber den Präsidenten höre ich trotzdem noch manchmal.«
»Mit und ohne Telefon«, sagte Howard.
»Mit verstehe ich ihn besser.«
»Ausgeschlossen«, sagte Howard noch einmal. »Das gibt es einfach nicht.«
»Sie haben recht«, sagte ich vorsichtig. Howard sah mich an. »Das Ganze ist völlig aus der Luft gegriffen. Warum sollte ein ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten jemanden wie Thomas anrufen und ihn für die CIA rekrutieren? Das ist lächerlich. Sie haben völlig recht.«
Howard merkte, dass ich auf irgendetwas hinauswollte. Deshalb schwieg er.
»Ich meine, Sie haben gesehen, was für Fähigkeiten Thomas hat. Er hat eine außergewöhnliche Begabung. Gleichzeitig steht sein Bild von der Realität manchmal im Widerspruch zu dem, was wir anderen glauben. Man hat bei ihm schon in sehr jungen Jahren Schizophrenie festgestellt.«
Der verachtungsvolle Blick, den Thomas mir zuwarf, sagte: Das heißt aber nicht, dass ich nicht recht habe.
»Ich meine, das mit den Landkarten, die verschwinden, und den Black Ops, das ist schon eine ziemlich wilde Geschichte. Aber nehmen wir mal an, Sie kennen jemanden mit einer unglaublichen Gabe, der allerdings auch ein großer Verschwörungstheoretiker ist und daran glaubt, dass mächtige Leute sich für seine Fähigkeiten interessieren. Rufen Sie den an und sagen zu ihm: ›Hi, hier ist John Brown, hätten Sie vielleicht Lust, ein bisschen für mich rumzuschnüffeln?‹ Oder rufen Sie an und sagen: ›Hi, ich war mal Präsident der Vereinigten Staaten, und ich brauche Ihre Hilfe.‹«
Howard betrachtete mich mehrere Sekunden. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Also gut, dann pack ich jetzt aus. Ich will sagen, mein Bruder arbeitet weder für die CIA, das FBI noch für Bill Clinton oder Franklin Delano Roosevelt. Sondern er hilft, ohne es zu wissen«, und an dieser Stelle warf ich Thomas einen Blick zu, mit dem ich ihn um Entschuldigung bat, »Carlo Vachon.«
»Wem?«, fragte Thomas.
»Vachon?«, wiederholte Lewis. »Dem Gangster?«
Bei der Erwähnung dieses Namens konnte selbst Nicole ihr Interesse nicht mehr verbergen, die bis dahin alles getan hatte, um zu zeigen, wie
Weitere Kostenlose Bücher