Fenster zum Tod
ziemlich lange anlügst. Ich schwöre bei Gott, wenn du mir jetzt nicht sagst, was hier los ist, werde ich –«
Sein Blick fiel auf den Vorhang, durch den das Licht aus dem Hinterzimmer schimmerte. Er sah Schatten, die sich hinter dem Vorhang bewegten.
»Was geht hier vor?«
»Du musst hier weg«, beharrte Howard in flehendem Ton. »Ich mach das nur für dich, Morris. Ich halte dir Dinge vom Leib. Ich tu, was getan werden muss. Ich mache die Würste. Aber niemand sollte dabei sein, wenn ich sie mache. Ich tu’s für dich, Morris, damit du –«
»Spar dir den Scheiß«, sagte Morris. »Hier geht’s um ganz was anderes.«
Er machte einen Schritt auf den Vorhang zu. Howard umklammerte sein Bein. »Nein!«, beschwor er ihn.
Morris stolperte und traf Howard mit der Schuhspitze am Kinn.
»Scheiße!«, schrie Howard auf und ließ los. In weniger als zwei Sekunden hatte Morris den Vorhang erreicht und zur Seite gerissen.
Im Hinterzimmer erblickte er einen Mann und eine Frau. Den Mann erkannte er. Es war Lewis – der schon seit Jahren für Howard arbeitete. Die Frau hatte er noch nie gesehen.
Und zwei an Stühle gefesselte Männer.
»Hallo, Morris«, sagte Lewis zum Justizminister, der mit offenem Mund dastand und auf die Szene vor ihm starrte.
Howard trat keuchend und mit blutigem Kinn hinter dem Vorhang hervor.
»Morris, ich hab dir doch gesagt –«
»Wer sind diese Männer?«, fragte Morris.
»Ich bin Ray Kilbride«, sagte einer von ihnen. »Und das ist mein Bruder Thomas.«
»Und wer sind Sie?«, fragte Morris die Frau.
»Die, die’s verbockt hat.«
»Bindet diese Männer los«, befahl Morris. Er sprach niemanden direkt an, aber es war klar, dass er eine Reaktion von Lewis oder Howard erwartete.
»So einfach ist das nicht«, sagte Howard.
»O doch, so einfach ist das«, zischte Morris. »Ich habe keine Ahnung, was das hier soll, aber es ist Freiheitsberaubung. Du kannst diese Männer nicht gegen ihren Willen hier festhalten.«
»Es gibt Dinge, von denen du nichts weißt«, sagte Howard.
»Dann klär mich auf.«
»Es ist … kompliziert.«
Morris’ Augen wurden schmal. »Dann redest du eben ganz langsam, vielleicht kapier ich’s dann.«
»Es ist wegen des Mords«, sagte der Mann, der Thomas hieß. »In der Orchard Street.«
»Was für ein Mord? Wovon reden Sie?«
»Schnauze!«, sagte Howard. »Morris, wir gehen –«
Er packte Morris von hinten bei den Armen und wollte ihn aus dem Hinterzimmer zerren, doch Morris schüttelte ihn ab.
»Was für ein Mord?«, wiederholte er.
Der Mann namens Ray sagte: »Wir wissen es nicht, aber es könnte jemand sein, der Bridget heißt.«
Dreiundsechzig
A ls ich diese Worte ausgesprochen hatte, war es, als wäre mit einem Schlag aller Sauerstoff aus dem Zimmer entwichen. Etwas ging vor mit Howard, Lewis und Nicole, es war beinahe mit Händen zu greifen. Es verschlug ihnen den Atem, und sie wussten nicht, was sie dagegen tun sollten.
Und der Mann, den sie Morris nannten, der stand da wie vom Blitz getroffen. Erstarrt und elektrisiert gleichzeitig. Wie vor den Kopf geschlagen von dem, was ich gesagt hatte, und vor Entsetzen unfähig zu irgendeiner Reaktion. Seine Miene drückte nichts als Fassungslosigkeit aus. Dennoch spürte ich, wie etwas bei ihm in Gang kam, die Bedeutung meiner Worte zu ihm durchdrang. Seine Blicke hetzten mit Tempo hundertfünfzig durch den Raum.
Es war, als hätte die Stimmung plötzlich umgeschlagen. Alles war anders als noch vor fünf Minuten. Das herrschende Gleichgewicht hatte sich verschoben. Ob zu Thomas’ und meinen Gunsten, das wusste ich nicht. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, wie sich unsere Lage noch hätte verschlimmern können.
Und auf einmal wurde mir klar, wer dieser Morris war.
Sein Gesicht war mir schon bei seinem Eintreten bekannt vorgekommen, allerdings hatte ich nicht gewusst, wo ich es hintun sollte. Hätte ich es in den Nachrichten gesehen, hätte ich keine Sekunde überlegen müssen. Doch hier, in einem Raum mit drei ausgemachten Schurken, konnte ich ihn nicht unterbringen. So, als bekäme man jeden Morgen von derselben Person im Schnellcafé seinen Pappbecher in die Hand gedrückt, und plötzlich läuft einem diese Person beim Einkaufsbummel über den Weg. Man weiß, man kennt sie, nur nicht, woher.
Ich brauchte also ungefähr eine Minute, bis ich begriff, dass dies der Justizminister des Staates New York war.
Morris Sawchuck.
Ich hatte Artikel über ihn gelesen. Ihn im Fernsehen
Weitere Kostenlose Bücher