Fenster zum Tod
ich das Foyer betrat, sah ich, dass meine Sorge unbegründet war. Ich hätte ja den Menschen am Empfang gebeten, ihr zu sagen, dass ich hier sei, nur saß da kein Mensch. Es gab nur ein Telefon auf dem Tisch, das mich aufforderte, eine Nebenstelle zu wählen. Daneben klebte eine Liste von Nebenstellen auf dem Tisch.
Ich suchte gerade Julies Namen, als ich ein eiliges Klacken auf der nicht weit vom Empfangstisch entfernten Treppe hörte.
»Hey«, sagte Julie, »ich sehe, du hast dich schon mit unserer Rezeptionistin bekannt gemacht.«
Sie sagte, wenn wir ein Bier trinken wollten, dann sei Grundy’s die nächste Adresse. Offenbar ein neues Lokal. Vor meinem Umzug nach Burlington hatte es das jedenfalls noch nicht gegeben. Trotzdem konnte es gut und gerne mehr als anderthalb Jahrzehnte alt sein. Julie trug schwarze Stiefel, Jeans, ein weißes Herrenhemd mit Button-down-Kragen und eine speckige schwarze Lederjacke. Mit der überdimensionalen schwarzen Handtasche, die ihr von der Schulter hing und aussah, als böte sie reichlich Platz für einen Presslufthammer und mehrere Betonblöcke, kam sie ein wenig schief daher. Durch ihr schwarzes Haar zogen sich ein paar graue Strähnen, die nicht aussahen, als seien sie absichtlich dort plaziert worden.
Wir setzten uns in eine Nische. Julies Tasche gab ein dumpfes Geräusch von sich, als sie sie neben sich auf dem Boden abstellte.
»Ich schleppe immer einen Haufen unnötiges Zeug mit mir herum«, sagte sie. Sie hob eine Hand, um die Kellnerin auf sich aufmerksam zu machen, und lächelte. »Hey, Bee, das Übliche für mich, und etwas für die Dame.«
Bee sah mich an. »Ich nehme genau das, was sie nimmt.«
Als die Kellnerin unseren Tisch verließ, sagte Julie: »Noch einmal mein Beileid. Aber es ist schön, dich zu sehen. Lang ist’s her.« Sie lächelte.
»Ja«, bestätigte ich. Etwas in Julies Stimme schien anzudeuten, dass wir eine gemeinsame Vergangenheit hatten.
Jetzt grinste sie. »Du erinnerst dich nicht mehr.«
Ich öffnete den Mund, gab aber keinen Ton von mir. Dann lächelte ich und sagte: »Eigentlich wollte ich mich jetzt irgendwie durchmogeln, aber ich hab’s mir anders überlegt. Du siehst mir nicht aus wie jemand, der sich so leicht hinters Licht führen lässt.«
»Die Party bei Sadie Hawkins. Du hattest noch ein halbes Jahr bis zum Abschluss, ich war ein Jahr unter dir. Ann Paltrow hatte dich eingeladen, aber du hattest schon vorgeglüht und warst ziemlich blau, als du ankamst. Sie wurde wütend und hat dich stehen lassen, worauf du dich an mich rangemacht hast. Wie das Schicksal so spielt, hatte auch ich schon ein paar Buds intus, und im Handumdrehen waren wir im Auto deines Vaters auf dem Rücksitz zugange. Eine ganze Stunde lang. Sag bloß, du hast das vergessen.«
Ich lächelte, schluckte. »Ich hab das vergessen.«
»Dann hast du wahrscheinlich auch vergessen, dass ich ein paar Monate danach weggezogen bin und neuneinhalb Monate später –«
»O Gott!«
Sie lächelte und tätschelte mir die Hand. »Ich verarsch dich doch nur. Zumindest, was den letzten Teil betrifft. Ich meine, ich bin weggezogen, aber ich musste einfach raus hier. Ich hatte nie das Gefühl, dazuzugehören. Und auch du hast auf mich immer den Eindruck gemacht, dass du dich hier fehl am Platz fühlst. Aber du hast dich arrangiert, weil du ein – ich hoffe, du nimmst mir das jetzt nicht übel – ziemlicher Tugendbold warst.«
»Wahrscheinlich«, gab ich zu. »Und du … nicht so ganz.«
Sie lächelte. »Ich hatte so meine Sternstunden.«
»Ich erinnere mich, eine Zeitlang gab es, wenn Klausuren geschrieben wurden, Anrufe bei der Feuerwehr, dass die Schule brennt oder eine Bombe versteckt war. Damals hieß es, das warst du.«
Ihre Miene wurde todernst. »Wer tut denn so was? Das ist ja unverantwortlich.« Nach einer Pause sagte sie: »Aber ich kann schon verstehen, das jemand, der nicht wirklich gut auf einen schwierigen Test vorbereitet war, sich vielleicht in die Enge getrieben fühlt und keinen anderen Ausweg sieht, als zu so verzweifelten Mitteln zu greifen.« Und nach einer weiteren Pause fügte sie hinzu: »Und außerdem ist es nur zweimal vorgekommen.«
»Mensch, dann warst du’s also wirklich.«
»Ich mache von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch«, sagte Julie. »Aber es war ein Grund mehr, aus der Stadt zu verschwinden.«
»Ja, ich bin dann auch nicht mehr lange geblieben.«
»Und jetzt sind wir beide wieder da«, sagte sie, als die Kellnerin mit
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