Fenster zum Tod
angelehnten Tür stand, hatte ich ihn dabei beobachtet, wie er sich mit jemandem unterhielt, den es nicht gab. Das Telefon lag in der Schale, und Thomas hatte weder die Hände an der Tastatur noch sah er auf einen der Bildschirme. Ich hatte gehört, wie er sagte: »Fast hätte ich Bill zu Ihnen gesagt.«
»Das stimmt«, bestätigte Thomas. »Aber man darf immer noch Herr Präsident zu ihm sagen. Ehemalige Präsidenten werden auch später so angesprochen.«
»Ich weiß.«
»Ich will jetzt nicht mehr darüber reden«, sagte Thomas. »Diese Tabletten, die Dr. Grigorin dir gegeben hat, die helfen nicht. Ich dachte, die machen dich toleranter und verständnisvoller. Aber du bist genau wie Dad.«
Er ließ seine angebissene Banane auf dem Tisch liegen, stand auf, ging nach oben in sein Zimmer und schlug die Tür zu.
Wir brauchten Lebensmittel. Ich konnte nicht ewig Jumbosandwiches und Pizza holen. Als ich im Supermarkt Nachschub für die Tiefkühltruhe holte, traf ich Len Prentice und seine Frau Marie. Len und mein Vater waren Freunde geblieben, auch nachdem mein Vater die Druckerei verlassen hatte. Ich kannte Len eigentlich nur käsebleich, doch bei der Beerdigung hatte er ausgesehen, als hätte er kürzlich etwas Sonne abbekommen, auch wenn er jetzt schon wieder ein wenig Farbe verloren hatte. Marie war jedoch blass und erschöpft. Sie hatte gesundheitliche Probleme, seit ich sie kannte. Ich wusste zwar nicht mehr, was genau es war, meinte aber, mich zu erinnern, es sei dieses chronische Erschöpfungssyndrom. Dauernde Müdigkeit. Ich kannte die beiden – zugegebenermaßen nicht besonders gut – seit fast drei Jahrzehnten. Sie hatten einen Sohn, Matthew. Er war ungefähr in meinem Alter, und als Jugendliche hatten wir oft gemeinsam abgehangen. Er war jetzt Steuerberater in Syracuse, verheiratet und hatte drei Kinder.
»Hallo, Ray«, sagte Len, der den Wagen schob. Marie zuckelte hinter ihm her. »Wie geht’s euch denn, dir und Thomas?«
Bevor ich antworten konnte, sagte Marie. »Ray. Wie schön, dich zu sehen.«
»Hi«, sagte ich zu beiden. »Uns geht’s ganz gut. Wir kommen zurecht. Ich hol nur ein bisschen Verpflegung.«
»Es war eine schöne Ansprache«, sagte Marie ernst. Dad hatte sie immer »Marienkäfer« genannt, allerdings nur in ihrer Abwesenheit. Sie war stets fröhlich, trotz ihrer Gesundheitsprobleme. Der Pfarrer hätte die Hose runter- und sein bestes Stück kreisen lassen können, Marie hätte noch immer als Erstes die schönen Blumen gepriesen.
»Ja«, sagte ich. »Danke noch mal fürs Kommen.« Ich sah Len an und lächelte. »Ich wollte Sie neulich schon fragen, ob Sie unter der Höhensonne eingeschlafen sind.«
Marie tätschelte mir neckisch den Arm. »Ach, du. Len ist vor zwei Wochen aus dem Urlaub zurückgekommen.«
»Wo waren Sie denn?«, fragte ich. »In Florida?«
Len schüttelte den Kopf, als wäre das nicht der Rede wert. »Thailand.«
»Erzähl ihm, wie schön es war«, forderte Marie ihn auf.
»O ja, es war sehr schön. Absolut umwerfend. Das Wasser, dieses Türkisblau, das man nirgendwo sonst findet. Warst du schon mal dort, Ray?«
»Nein, nie. Aber ich habe gehört, dass es phantastisch sein soll. Sie sind nicht mitgeflogen, Marie?«
Sie seufzte. »Ich habe einfach keine Energie zum Reisen. Nicht so weit weg jedenfalls. Ein paar Sachen zusammenzupacken, um für eine Woche in ein Feriendorf zu fahren, wo man in ein paar Stunden hinkommt, das macht mir nichts aus, aber das viele Laufen auf Flughäfen, das Anstehen an der Zollabfertigung, das ewige Schuhe Aus- und wieder Anziehen. Das ist mir zu viel. Aber nur, weil es für mich zu strapaziös ist, in der Weltgeschichte herumzureisen, heißt das ja nicht, dass Len nichts mit anderen unternehmen kann, denen das mehr Spaß macht.«
»Ray«, sagte Len, »ich würde gern zu euch rauskommen, bevor du nach Burlington zurückfährst.«
»Keine Ahnung, wann das sein wird«, sagte ich. »Zuerst muss ich klären, wie’s mit Thomas weitergeht. Ich muss eine Entscheidung treffen, was ich mit dem Haus mache. Thomas kann da nicht allein wohnen bleiben.«
»Du meine Güte, nein«, sagte Marie. »Der Junge braucht jemand, der sich um ihn kümmert.«
Ich spürte, wie ich in Harnisch geriet, ließ mir aber nichts anmerken. Sie hatte ja recht, Thomas brauchte eine Betreuung. Aber er war ein Mann, kein Junge. Er hatte es nicht verdient, wie ein Kind behandelt zu werden. Und plötzlich meldete sich mein schlechtes Gewissen. War ich
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