Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
Vom Netzwerk:
Menschen streng kontrolliert wurde.
    Einen Haken hatte es allerdings, meinem Bruder in dieser Sache seinen Willen zu lassen: Wie verhielt ich mich, wenn er morgen etwas anderes entdeckte? In einem anderen Fenster in einer anderen Stadt? Und wenn diese Stadt zufällig gerade Istanbul war? Erwartete er auch dann von mir, dass ich der Sache nachging?
    Wahrscheinlich musste ich von Fall zu Fall neu mit Thomas verhandeln. Wenn er demnächst auf einer seiner virtuellen Reisen wieder auf etwas stieß, das ich für ihn überprüfen sollte, dann könnte ich ihn darauf hinweisen, dass mein letztes Entgegenkommen mich einen ganzen Tag gekostet hatte, von dem Geld für die Bahnfahrkarte gar nicht zu reden. Ob so eine Argumentation meinen Bruder allerdings von irgendetwas abbringen würde, darüber konnte ich nur spekulieren.
    Bei diesem Bagatellschaden in Boston, wegen dem er so außer sich geraten war, hatte ich ihn immerhin davon abhalten können, voreilig etwas zu unternehmen. Es war also möglich, ihn von Nebensächlichkeiten abzulenken. Doch etwas an diesem verhüllten Gesicht hatte ihn anscheinend besonders aufgewühlt.
    »Die Leute schauen zu wenig nach oben«, hatte er zu mir gesagt.
    Ich war froh, dass ich im Zug Zeit für mich hatte und meinen Gedanken freien Lauf lassen konnte. Sie kehrten immer wieder zu meinem Vater zurück. Vielleicht projizierte ich ja zu viel in dieses Wort hinein, das er recherchiert hatte.
    Er hatte etwas über Kinderprostitution in den Nachrichten gesehen.
    Er war entsetzt.
    Er wollte mehr erfahren.
    Basta.
    Wie hatte ich meinen Gedanken nur so die Zügel schießen lassen können?
    Ich hatte mir einen Ausdruck der Szene am Fenster mitgenommen. Während der Zug den Hudson entlangfuhr, sah ich ihn mir noch einmal ganz genau an. Ich musste zugeben, von dem Bild ging eine besondere Wirkung aus. Dass der Kamerawagen von Whirl360 bei seinem Einsatz in Manhattan buchstäblich im Vorbeifahren einen gerade stattfindenden Mord aufgenommen haben sollte, schien mir im Gegensatz zu Thomas sehr weit hergeholt. Allerdings immer weniger, je länger ich das Foto betrachtete. Es sah tatsächlich so aus, als würde hier ein Mensch erstickt, als hätte sich jemand von hinten angeschlichen, ihm eine Tüte über den Kopf gestülpt und festgezogen.
    Aber natürlich wusste ich, dass es auch zig andere Erklärungen geben konnte. Das Ding sah zum Beispiel aus wie einer dieser weißen Styroporköpfe, die zur Aufbewahrung von Perücken benutzt wurden. Vielleicht stand so einer ja auf diesem Gehäuse der Klimaanlage. Oder jemand war just in dem Moment, als das Foto geschossen wurde, mit so einem Kopf am Fenster vorbeigegangen.
    Das Bild hatte eine sehr grobkörnige Auflösung.
    Ich hatte Thomas angeboten, erst mal im Internet zu recherchieren, bevor ich zu dieser Aufklärungsfahrt aufbrach. Bei dem, wofür mein Bruder den Computer nutzte, war er eine Kanone, aber bei der Informationssuche im Internet hatte ich die Nase vorn. Ich holte also Dads Laptop mit der gelöschten Chronik und tippte »Orchard Street New York« ins Suchfeld ein. Bevor ich die Suche startete, fügte ich noch schnell das Wort »Mord« hinzu.
    Ehrlich gesagt wollte ich damit nur Thomas den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn wir bei unserer Suche keine Geschichten über Leute fanden, die an Fenstern erstickt wurden, dann würde er das Ganze hoffentlich ein bisschen weniger verbissen sehen.
    Und tatsächlich gab es keine Geschichten von Leuten, die an Fenstern erstickt wurden. Doch die Suche ergab ein paar sehr interessante Treffer. Ich wurde auf eine Seite der New York Times geleitet, die sämtliche Artikel auflistete, in denen die Orchard Street vorkam. Ich las ein paar, in denen von Menschen die Rede war, die dort gestorben waren, und zwar keines natürlichen Todes. Im Mai 2003 war ein Mann von einem Mercedes-Cabrio überfahren worden, dessen Lenker Fahrerflucht beging. Mitte der neunziger Jahre veranlasste die Fehde zwischen zwei Besitzern eines Handtaschenladens den Sohn des einen dazu, einen Auftragskiller zu engagieren, um den anderen aus dem Weg zu räumen. Durch das rechtzeitige Eingreifen der Polizei konnte die Ausführung der Tat verhindert werden. Vor sieben Jahren war ein junger Bankangestellter durch einen Schuss in die Brust getötet worden. Dieser Mord geschah ebenfalls in der Orchard Street, zwischen der Grand und der Broome Street. Die Polizei folgte bei ihren Ermittlungen einander widersprechenden Theorien. Kannte das Opfer den Täter

Weitere Kostenlose Bücher