Fenster zum Tod
die Schränke und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Er war ziemlich sicher, dass die Frühstücksflocken im Schrank neben dem Kühlschrank waren. Er öffnete ihn zögernd, als rechne er damit, dass eine Ratte herausspringen würde. Doch da stand nur die Packung Cheerios, die er zu finden gehofft hatte.
Die Milch war im Kühlschrank. So viel wusste er schon. Er holte sich eine Schale, schüttete die Cheerios hinein, goss Milch dazu, aß alles auf und kehrte in sein Zimmer zurück. Die benutzte Schale ließ er auf dem Tisch, das Getreide und die Milch auf der Arbeitsplatte stehen. Allerdings nicht aus Schlamperei. Es war nur so, dass Ray von Wegräumen nichts gesagt hatte. Er hatte Thomas nur eingeschärft, dass er sich um sein Essen selbst kümmern musste. Wahrscheinlich wollte Ray selbst aufräumen, damit auch alles so gemacht wurde, wie er es haben wollte. So war es jedenfalls bei ihrem Vater gewesen. Adam Kilbride wollte immer über das Aufräumen bestimmen. Er ließ Thomas nie das Geschirr spülen. Deshalb wusste Thomas nicht, wie man den Geschirrspüler belud, den Staubsauger bediente, Wäsche wusch, den Boden schrubbte oder Staub wischte. Die einzige der Arbeiten in Haus und Garten, die Thomas gereizt hätte, war das Rasenmähen, doch sein Vater ließ ihn nicht mit dem Traktor fahren. Und jetzt wollte er ohnehin nie wieder damit fahren, selbst wenn Ray ihn gelassen hätte.
Nach dem Frühstück setzte er die Erkundung von San Francisco fort. Er spazierte durch die Stadtteile Sunset, Richmond und Haight-Ashbury, dann über die Golden Gate Bridge. Dazu brauchte er ganz schön viele Mausklicks. Dieser Teil der Stadtwanderung fesselte seine Aufmerksamkeit so, dass er fast vergessen hätte, sich um sein Mittagessen zu kümmern.
Kurz vor eins stand er wieder in der Küche. Die Vorstellung, sich ein Thunfisch-Sandwich zu machen, überforderte ihn, denn dazu hätte er den Dosenöffner benutzen müssen, und schon sein Vater hatte immer geflucht, wenn der Deckel endlich aufsprang und das Öl in alle Richtungen spritzte. Also entschied sich Thomas für Erdnussbutter und Brot. Er war gerade dabei, sich ein Brot zu schmieren, als es klopfte.
Erst tat er gar nichts, denn normalerweise war jemand da, der die Tür öffnete, doch dann wurde ihm klar, dass im Moment außer ihm niemand im Haus war. Er legte also das erdnussbutterbeschmierte Messer hin und ging nachsehen.
»Hallo, Thomas.«
Es war Len Prentice, oder Lenny, wie Adam Kilbride seinen früheren Arbeitgeber oft genannt hatte.
»Ah, hi, Mr. Prentice.«
Thomas sah dessen Wagen vor der Veranda stehen, aber es saß sonst niemand drin. Er war allein gekommen. Der Mann stand da, als wolle er hereingebeten werden, aber Thomas wollte das nicht. Er hatte Len Prentice noch nie leiden können.
»Ist dein Bruder da?«, fragte er.
»Er ist heute in New York«, antwortete Thomas.
»Was macht er denn da?«
»Er sieht nach, ob jemand mit einer Tüte erstickt wurde.«
Das verschlug Len einen Augenblick lang die Sprache. »Hä?«, machte er. Dann sagte er: »Du hast echt ’ne Meise, Thomas, was? Kann ich reinkommen?«
Thomas zögerte. »Ist wahrscheinlich nichts dabei«, sagte er dann.
»Ich kam gerade vorbei und dachte, schau ich doch mal, wie’s euch Jungs so geht.«
Thomas sagte nichts. Len Prentice hatte ihm ja keine Frage gestellt.
»Hast du vielleicht ein Bier?«
»Ich weiß nicht«, sagte Thomas in aller Aufrichtigkeit.
»Macht nichts. Ich seh selbst nach.« Len ging durchs Wohnzimmer in die Küche, öffnete den Kühlschrank und fand das Gesuchte.
»Na, Thomas, was treibst du denn den ganzen Tag?«, fragte er, öffnete die Flasche und nahm einen Schluck.
»Ich arbeite am Computer.«
Len nickte wissend. »Ach ja, stimmt. Mehr oder weniger rund um die Uhr.«
»Ich hab zu tun.«
»Wie war das noch mal mit Ray? Was macht der?«
»Er ist in New York.«
»Schon, aber das andere. Was hast du da gesagt?«
»Er trifft sich mit einem Freund wegen seiner Arbeit, und er versucht, rauszufinden, was mit der Person am Fenster passiert ist.«
Len trank noch einen Schluck von seinem Bier. »Der sie eine Tüte über den Schädel gezogen haben?«
Thomas nickte.
»Dein Vater hat sich bei mir alles von der Seele geredet«, sagte Len. »Ich war nämlich nicht nur sein Boss. Er und ich, wir waren Freunde. Und er hat mir erzählt, dass du ständig irgendwelche Fotos im Internet findest, und dann bist du ganz aus dem Häuschen. Er hat sogar überlegt, ob er dir den
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