Ferdinand Graf Zeppelin
selbst ins Allgäu hinaufzufahren. In Sommersried bei Kißlegg verließen wir den Zug und gingen oder wateten vielmehr quer über die Äcker einem Wäldchen zu, hinter dem das Luftschiff gelandet sein sollte. Eine förmliche Karawanenstraße vor uns her zeigte, dass Völkerwanderungen aus den umliegenden Ortschaften sich zu dem verunglückten Ballon ergossen haben mussten. Scharen von biederen Allgäuern kamen uns bereits entgegen und einer rief uns im Vorbeigehen zu: »Wenn Ihr no ebbes sehe went, so ischs Zit! Er liegt scho uff’m Bode.« – Noch etwas sehen wollen? Was bedeutet das? Wir beflügeln unsere Schritte. »Sauber kaputt!« wirft uns da wieder ein biederer Allgäuer zu, und die volle Wahrheit beginnt in uns aufzudämmern. Etwas betroffen werden wir aber doch noch, als wir aus dem Wäldchen heraustreten: Wie das Gerippe eines riesigen Walfisches, auf über 130 Meter hingestreckt, liegt es da vor uns auf dem Boden, und mit Äxten und Sägen arbeitet man schonungslos an der schleunigen Zerstörung. Die Ballonhüllen liegen in großen Haufen umher. Es ist, als ob jemand den Befehl gegeben hätte, so schnell wie möglich jede Spur dieses Luftschiffes zu vertilgen. Die Landung war, wenn auch schwierig, so doch ganz glücklich gewesen. Nur das Hinterteil war in einem Baume hängen geblieben und stärker beschädigt worden. Aber am Abend hatte sich ein Wind erhoben und das Luftschiff ein paar Mal heftig auf den Boden gestoßen. Da waren die Rippen gebrochen und es war jetzt unmöglich, das etwa 9000 kg wiegende Schiff vom Fleck zu bringen. So beschloss man, es auseinander zu schlagen … Wer kann nachfühlen, was den Erfinder in einer schlaflosen Nacht der Entschluss gekostet haben mag, den Befehl zum Zertrümmern des Werkes zu geben, über das er ein Menschenalter nachgegrübelt, an dem er volle sieben Jahre gebaut hat! Wer ahnt, was jetzt in ihm vorgeht, wo er es rings um sich in Trümmer sinken sieht! Aber obgleich jeder Axtschlag ihn ins innerste Mark treffen, jedes Knirschen der Sägen ihm das Herz zerreißen muss, steht er in vollkommener Beherrschung gelassen und tapfer da unter den Augen der fremden Menge. Wie groß und stark ist doch das menschliche Herz, das allen Mächten auf Erden Trotz bietet, und wie schwach ist daneben das Menschenwerk, das ein Windhauch vernichten konnte!«
»Was für ein erstaunlicher Artikel, Ferdi«, ließ Isabella verwundert die Zeitung sinken, aus der sie ihrem todmüden Mann im Salon des »Buchhorner Hof« gerade vorgelesen hatte. »Diesen Dr. Eckener scheinst du wundersamerweise auf deine Seite gezogen zu haben.«
Der alte Graf winkte traurig ab. »Das ändert jetzt auch nichts mehr an der Sachlage: ich fürchte, es ist nur der Abgesang auf einen Phantasten, der mit seiner wunderlichen Idee ein für allemal gescheitert ist.«
»Das sehe ich nicht so, Ferdi«, widersprach Isabella energisch. »Immerhin bist du der Held der Massen: alle Welt schaut in einer Mischung aus Trauer und Bewunderung auf dich und dein Lebenswerk. Und gerade solche Zeitungsartikel dienen dazu, deinen Ruf als Visionär weiter zu festigen. Wenn sogar schon der Dr. Eckener auf deine Seite gewechselt ist …«
»Ach Bella, das ist ja alles schön und gut, aber mein Luftschiff bringt es mir nicht wieder. Denn natürlich ist diese Havarie, so wenig deren Ursache auch bei dem Luftschiff selbst zu suchen ist, ein wunderbarer Vorwand für die preußische Militärverwaltung, um ihre ablehnende Haltung mir gegenüber nun erst recht beizubehalten. Ich kann mir die scheinheiligen Formulierungen schon lebhaft ausmalen, mit denen sie begründen werden, weshalb man zum großen Bedauern des Generalstabs von einer finanziellen Unterstützung absehen müsse. Es ist schon eine eigentümliche Situation: hier am Bodensee bin ich der Volksheld – und im Rest von Deutschland gelte ich als Witzfigur!«
»Das stimmt so nicht, Ferdi: auch im übrigen Deutschland wirst du von der überwiegenden Mehrzahl der Menschen aufgrund der mitfühlenden Zeitungsberichte verehrt und bewundert. Schau doch nur auf all die Depeschen und Briefe, die uns aus dem ganzen Land erreichen«, deutete Bella zu einem mit aufmunternden Schreiben bis zum Rand gefüllten Waschkorb, in denen Männer und Frauen aus allen Schichten der Bevölkerung ihrem hochverehrten »Luftgrafen« die wärmste Anteilnahme zum Ausdruck brachten und ihn beinahe schon flehentlich zum Weitermachen aufforderten. »Nachdem du die Herzen der Menschen gewonnen hast, werden
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