Ferdinand Graf Zeppelin
Katastrophe enden! Mit schweißnassen Händen umklammerte Zeppelin die Gaszüge und zog sie aus Leibeskräften nach unten. »Motor hinten aus! Und alle Gaszellen entleeren! Rasch!« Durch die wellenartigen Bewegungen des wie ein Spielball vom Wind vor sich her getriebenen Schiffes war es kaum noch möglich, sich auf den Beinen zu halten. Dann plötzlich: ein letztes, besonders heftiges Geräusch, das vom Zerreißen der hinteren Hülle herrührte, wo sich das Heck in einer Baumkrone verfangen hatte, danach ein ruckartiger Stillstand. Sie waren gelandet! Und: Sie waren am Leben geblieben. Keine Gaszelle hatte Schaden genommen!
Keine Sekunde Zeit, sich darüber zu freuen. »Sofort heraus und mit den Halteleinen das Schiff gesichert! Bindet sie an die Bäume. Schnell!«
Auch diese Arbeit war bald erledigt, das Wunder vollbracht. Ihr Schiff lag, im hinteren Bereich und an den Gondeln etwas zerschrammt, trotz allem sicher vertäut auf dem Boden und schien im Großen und Ganzen keine so gravierenden Schäden davon getragen zu haben, dass diese nicht zu reparieren wären. »Im Grund genommen sind wir mit einem blauen Auge davon gekommen, Exzellenz«, bestätigte auch Dürr nach einer ersten kurzen Inaugenscheinnahme in seiner gewohnt trockenen Art den Eindruck, den auch der Graf gewonnen hatte.
»Wir sollten jetzt erst einmal unserem Herrgott dafür danken, dass wir mit dem Leben davon gekommen sind, bevor wir uns um die Technik kümmern!« fuhr ihm der leichenblasse Gross in die Parade, der vor Anspannung genauso zitterte, wie vor der Kälte an diesem nasskalten Januartag 1906.
»Dann sollten Sie sich aber beeilen mit dem Beten, denn da hinten kommen schon die ersten Neugierigen angerannt«, deutete Dürr auf einige rasch größer werdende Punkte am Horizont, die er längst als die Vorhut einer nahezu unübersehbaren Menschenmenge identifiziert hatte, die sich in den kommenden Stunden und Tagen über die Havariestelle ergießen sollte, die sich übrigens ganz in der Nähe des Örtchens Kißlegg im Allgäu befand, wie sie von den ersten Ankömmlingen wenig später erfuhren.
Noch am selben Abend jagten die Berichterstatter ihre Depeschen hastig in alle Welt – und am Morgen danach erschienen die Zeitungen mit besonders großen Schlagzeilen auf ihrer ersten Seite: »Luftschiff verunglückt!«
»Luftschiff über Land getrieben und zerschellt!«
Und ähnliche Schreckensmeldungen mehr. Dabei hatte sich die Wahrheit zu dem Zeitpunkt, als diese Sensationsmeldungen verfasst worden waren, direkt am Havarieort noch ganz anders präsentiert. Ja, man war tatsächlich notgelandet. Und ja: es gab schon einige Schäden am Luftschiff zu konstatieren. Aber es war nichts, was nicht – in des Wortes wahrster Bedeutung – wieder gerade gebogen werden könnte.
«Wir werden morgen früh weiter sehen. Für heute ist nichts mehr zu machen. Geben Sie an die Soldaten von der Haltemannschaft, wenn sie hier ankommen, bitte meinen unmissverständlichen Wunsch weiter, dass unser Schiff noch besser festgebunden wird, als wir das haben machen können, Dürr«, ordnete Zeppelin an und ließ sich dann auf das Pferdefuhrwerk eines Bauern helfen, der sich entboten hatte, den Grafen persönlich in eine gute Unterkunft nach Kißlegg zu chauffieren, wo der nicht mehr ganz junge Mann mit seinen 67 Lebensjahren nach den Strapazen dieses Tages eine hoffentlich einigermaßen geruhsame Nacht verbringen würde. Auch wollte er dafür Sorge tragen, dass zwei weitere Fuhrwerke an die Landestelle geschickte wurden, mit denen dann auch Zeppelins Mitarbeiter nach Kißlegg gelangen konnten. Sie würden noch so lange am Luftschiff ausharren und die allzu neugierigen Zaungäste fernhalten, bis die Haltemannschaft eingetroffen wäre.
Alles schien folglich darauf hinaus zu laufen, dass man tatsächlich ein zweites Mal »mit einem blauen Auge davon gekommen« war, wie Dürr es durchaus zutreffend beschrieben hatte. So ärgerlich das Missgeschick mit dem fehlerhaften Motor auch sein mochte, so gefährlich die Fahrt des »LZ 2« auch verlaufen war und so wenig hilfreich die dementsprechenden Zeitungsartikel über die »Unglücksfahrt« auch ausfallen mochten: noch war nicht alles verloren. Ein neuer Aufstieg mit dem Schiff war absolut möglich. Wenn sie es erst nach Manzell zurücktransportiert hätten – eine Herkulesaufgabe, aber ebenfalls machbar – und anschließend in aller Sorgfalt reparieren würden, dann … müsste es spätestens im Frühsommer möglich sein,
Weitere Kostenlose Bücher