Ferdinand Graf Zeppelin
sich mit dem Gedanken trägt, zusammen mit seinem Sohn Karl eine eigene Motorenfabrikation aufzumachen. Übrigens genau hier, unter unseren Füßen, in Bietigheim. Wenn wir diese Dauerfahrt erfolgreich beenden, woran ja im Grunde genommen kein Zweifel mehr besteht, und ich von der preußischen Regierung die zugesagten Finanzmittel bekomme, dann werde ich ihm anbieten, mit meinem Kapital einzusteigen, damit die Firma von Anfang an auf soliden Beinen steht. Es müsste doch möglich sein, mit den Maybachs zusammen neue Motoren zu entwickeln, die verlässlicher sind, als die jetzigen. Das scheint mir auf Dauer gesehen unabdingbar: eine Herstellerfirma eng an den Luftschiffbau zu koppeln. Denn nur so können wir genau die Motoren bekommen, die für unsere Zwecke die besten sind.« »Eine hervorragende Idee«, nickte Dürr anerkennend. »Sie sollten dieses Vorhaben wirklich so rasch wie möglich umsetzen, Exzellenz.«
»Davon können Sie ausgehen. Aber jetzt gilt es erst einmal, unsere Konzentration auf Stuttgart und einen geeigneten Landepunkt zu richten. Was gibt es Neues, Lau?«
»Im Grunde genommen nichts«, antwortete der. »Alle Funktionen arbeiten soweit zufriedenstellend. Wir dürften Stuttgart problemlos erreichen. Wir könnten jetzt übrigens daran gehen, die ersten Postkarten abzuwerfen. Es wird ja langsam hell.«
»Das machen wir. Und bis dann die Daimlerleute ihre Vorbereitungen abgeschlossen haben, reicht es für uns eventuell sogar noch zu einer kurzen Stippvisite über Tübingen – das ist ja in der Luftlinie nicht allzu weit entfernt und der südwestliche Wind würde uns danach beinahe von alleine wieder zurück nach Stuttgart treiben. Der Universität und ihren Professoren würde ich schon gerne meine Referenz erweisen, als kleines Dankeschön für die phänomenale Inszenierung neulich, aus Anlass meines 70. Geburtstages.« Zeppelin war natürlich die bedenkliche Miene nicht entgangen, die sein Oberingenieur bei diesen Worten an den Tag legte. Typisch Dürr, der gerne lieber grundsätzlich »auf Nummer Sicher« ging! »Jetzt machen Sie nicht so ein Gesicht, Dürr. Wir werden es einfach probieren. Zeit genug wäre dafür ja vorhanden …«
Mitten im Satz wurde er von einem erstaunten Ausruf des Monteurs Schwarz unterbrochen. »Das ist ja unglaublich!« »Grandios!« Auch die übrigen Mitglieder der Luftschiffbesatzung starrten mit offenen Mündern auf das unglaubliche Bild, das sich unter ihren Füßen darbot. Es war kurz nach 6 Uhr.
»Menschentrauben überall!«
Seit Mitternacht hatte man im festlich geschmückten Stuttgart mit wachsender Spannung der Ankunft Zeppelins entgegen gefiebert – alle Anhöhen der Stadt waren mit Menschen bevölkert, die während der ganzen Nacht dort ausgeharrt hatten. Um halb sechs Uhr kündigten dann Böllerschüsse die unmittelbar bevorstehende Überfahrt von »LZ 4« an -und seitdem gab es erst recht kein Halten mehr: die Extrablätter mit den neusten Nachrichten über das Luftschiff fanden reißenden Absatz, an den Aushängestellen kam es teilweise zu tumultartigen Szenen. Auf die Dächer ihrer Häuser waren die Leute geklettert, kein Kirchturm in Stuttgart, aus dessen Luken und Fenstern nicht begeisterte Menschen winkten. Ganze Familien pilgerten hoch nach Degerloch und bevölkerten wie eine unüberschaubare Ameisenarmee die steilen Hänge am Talkessel. Besonders eng ging es am Bismarckturm auf dem Gähkopf zu, wo man sich um den letzten freien Platz auf der Turmspitze balgte. Niemand wollte es verpassen, Zeuge dieses weltgeschichtlichen Ereignisses werden zu können, überall in und um Stuttgart herrschte eine Euphorie, wie sie die Residenzstadt wohl noch niemals erlebt hatte. Mit ungläubigem Staunen berichteten die Reporter der Zeitungen von der überbordenden Feierlaune dieser doch sonst so biederen Schwaben: »Bei Alt und Jung spiegelt sich auf den Gesichtern eine ehrliche, aus tiefstem Herzen empor quellende Begeisterung. So empfängt Deutschland seinen Helden, den Eroberer der Luft.«
Es war wie in einer bombastischen Theaterinszenierung, die selbst Wagnersche Dimensionen sprengte: gerade eben ging über dem Stuttgarter Talkessel die Sonne auf, als begleitet vom dumpfen Dröhnen der Salutkanone und dem hunderttausendfachen Jubel der Menschen das Luftschiff erschien, das von den ersten Strahlen der Morgensonne in ein rotes, geradezu magisches Licht getaucht wurde! Die Begeisterung der Stuttgarter kannte keine Grenzen mehr, als »LZ 4« eine Ehrenrunde hoch
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