Ferdinand Graf Zeppelin
Lüfte! Er lebe Hoch! Hoch! Hoch!«
Mehrere hundert Menschen waren es jetzt bereits, die einen engen Kreis um das Luftschiff bildeten und aus deren Kehlen sich die Hochrufe jubelnd fortpflanzten.
Der Graf war tiefgerührt. Er nahm die weiße Mütze vom Kopf und dankte dem Mann, der sich als Schultheiß von Echterdingen entpuppte, mit warmen Worten. Wieder brach Jubel aus. Männer. Frauen und Kinder, Bauern, Feldarbeiter, Fabrikarbeiter und Angestellte: alle strömten sie mittlerweile auf der Wiese vor Echterdingen zusammen. Die Zahl der Neuankömmlinge schien nicht enden zu wollen!
Kein Wunder, denn auch in Stuttgart war inzwischen die Kunde von der Landung des Zeppelin bei Echterdingen eingetroffen und so machten sich die Menschen, die das Luftschiff vor wenigen Stunden über ihren Köpfen hatten bestaunen können, erneut auf den Weg, um dieses Wunder der Technik und der Ingenieurskunst aus nächster Nähe in Augenschein nehmen zu können. Und dabei vielleicht sogar einen Blick auf den legendären Grafen Zeppelin und seine mutigen Männer zu erhaschen!
Es dürften an die hunderttausend Personen gewesen sein, die sich auf diese wahre Völkerwanderung nach Echterdingen begaben. Das sonst so belebte Stuttgart schien schlagartig wie entvölkert. Auf den Bahnhöfen herrschte ein einziges chaotisches Durcheinander. Immer wieder setzten manche dabei die Fäuste ein, um möglichst rasch bis nach Degerloch zu gelangen. »Im Zahnradbahnhof entstand ein Kampf um einen Platz in der Bahn, wie er anlässlich der bestbesuchtesten Volksfeste nicht stärker sein kann«, kabelte ein Reporter, völlig überwältigt vom chaotischen Durcheinander dieser Stunden, an seine Zeitung. »Zu den Fenstern zog man Damen herein, die noch unter allen Umständen mit wollten. Es war beängstigend, wie dann der übervolle Zug nach Degerloch hinaufkeuchte. Dort war Wagenwechsel. Wieder ein Kampf um einen neuen Platz.«
Auch auf der Filderbahn ging es bei der Schlacht um eine Mitfahrgelegenheit drunter und drüber. Selbst die rasch eingesetzten Sonderzüge konnten den Andrang nicht bewältigen – am Ende gingen im Bahnhof sogar die Fahrkarten aus!
So blieb den meisten nichts anderes übrig, als die Strecke zu Fuß zu bewältigen: »Eine endlose schwarze Schlange zieht sich die Alte Weinsteige zum Bahnhof in Degerloch hinauf. Alles voll; zum Brechen voll. In den Fensterrahmen, auf den Trittbrettern, auf den Gittern der Plattformen, Kopf an Kopf. Ich stehe auf den Puffern zwischen zwei Wagen, ein anderer hat den einen Fuß auf einem Trittbrett des hinteren Wagens, mit dem anderen Fuß steht er auf dem Trittbrett des vorderen Wagens. Und als der Zug sich endlich in Bewegung setzt, wird der Mann fast auseinandergerissen. Auf den Ketten, mit denen die Wagen aneinander gekuppelt sind, sitzen und stehen Leute; Männer, Frauen, junge Mädchen, Kinder, alles will mit.«
Die ganze Umgebung befindet sich inzwischen in einem Zustand der Massenhysterie. So schnell wie möglich müssen sie unbedingt zur Landestelle des Grafen Zeppelin und seines Luftschiffs! In Echterdingen bricht der Verkehr zusammen. Motorwagen, Pferdekutschen, Leiterwagen, Radfahrer und Fußgänger bilden ein unbeschreibliches Durcheinander. Als letztes Mittel fordert der Schultheiß Dragoner an, die mit aufgestellter Lanze versuchen sollen, wenigstens eine gewisse Ordnung in das Tohuwabohu zu bekommen. Alle drängen hinaus auf die Wiese vor Echterdingen, wo seit zehn Uhr morgens zwei Kompanien des Grenadierregiments »Königin Olga« das Luftschiff weiträumig absperren. Immer wieder versuchen Neugierige, die Absperrung zu durchbrechen, um den riesenhaften Schiffskörper betasten zu können. Mit wilden Flüchen und gezogenem Säbel galoppieren die Soldaten den unverschämten Zaungästen hinterher und reiten sie fast über den Haufen. Rund um das Luftschiff herrscht Volksfeststimmung. Längst sind die Gasthäuser und Kaufläden leergekauft, in ganz Echterdingen ist kein Brotlaib und keine Brezel mehr zu bekommen. Doch das trübt die Stimmung nicht. Hauptsache, man ist dabei und kann ab und zu einen kurzen Blick auf die Männer in der Gondel werfen, die den defekten Motor reparieren, bevor man von den Nebenstehenden wieder zur Seite gedrückt wird. Begierig lassen sich die Leute immer und immer wieder von den wenigen Glücklichen, die als Erste an der Landestelle waren, erzählen, wie es denn in den Gondeln ausschaut und welchen Eindruck der Graf Zeppelin und seine Luftschiffer auf sie
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