Ferdinand Graf Zeppelin
sich nicht, wie insgeheim von ihm erhofft, um eine württembergische, sondern um eine preußische Einheit. Schon wieder diese Preußen!
Die Wartezeit bis zur Übernahme des neuen Kommandos würde er auf Geheiß des Königs in Berlin überbrücken, während der er im Auftrag des württembergischen Kriegsministeriums eine Denkschrift ausarbeitete, die eine Analyse der derzeitigen Verhältnisse in Württemberg genauso beinhalten sollte, wie eine Standortbestimmung des Königreichs im Hinblick auf das mehr und mehr übermächtig scheinende Preußen. Es war ein ähnlicher Auftrag, wie damals, als er in jungen Jahren dem König auf dessen Wunsch hin eine ungeschönte Lagebeschreibung des Landes geliefert hatte. Aber über diese neuerliche Brisanz des alten Themas mochte er sich gar nicht erst irgendwelche Gedanken machen: mit Feuereifer stürzte sich Ferdinand auf die neue Arbeit, in deren Verlauf er sich all den Ärger und die Frustrationen von der Seele schrieb, die ihn im tagtäglichen Umgang mit den Preußen plagten – und das schon seit Jahrzehnten.
Er verfasste im wahrsten Sinn des Wortes eine denkwürdige Schrift. Sowohl was ihren Inhalt betraf, als auch im Hinblick auf die fatalen Konsequenzen, mit denen ihr Verfasser anschließend zu kämpfen hatte. Ganz besonders wurmte ihn schon seit den Zeiten der Reichsgründung 1871 beispielsweise die Tatsache, dass die württembergische Armee direkt unter dem preußischen Oberkommando stand, was vor allem in Personalfragen für ständigen Ärger sorgte. Denn Württemberg war in dieser Hinsicht nachweislich eindeutig ins Hintertreffen geraten, was in der Praxis dazu führte, dass die wichtigen Kommandeursstellen inzwischen nahezu vollständig von preußischen Offizieren eingenommen wurden. Noch nicht einmal den Willen von König Karl mochte der arrogante preußische Generalstab dabei respektieren! Sie schienen den König nur mehr als ihren Handlanger zu betrachten, den General aber als den Bestimmenden für die Geschicke der württembergischen Offiziere: »Diese werden dadurch zu ängstlicher Unterwürfigkeit unter den Kommandierenden General erzogen und ihrem König entfremdet!« schrieb er wortwörtlich in seine bittere Analyse hinein. Folgerichtig erschien es Ferdinand von Zeppelin als seine Pflicht und Schuldigkeit, in seinem Fazit eindringlich vor der Gefahr einer Schwächung des württembergischen Königtums zu warnen. Eine Abhilfe dieses keinesfalls länger hinnehmbaren Missstandes könne nur mit der unverzüglichen Schaffung einer den Preußen gleichberechtigten Personalstelle erreicht werden. Eine unerhörte Forderung! Auch der erfahrene Zeppelin musste sich der Tragweite seiner Formulierungen in diesem Schriftstück durchaus bewusst sein, die in der württembergischen Regierung im selben Maße für Erstaunen wie insgeheim für so manches schmunzelnde Kopfnicken sorgten, während es in Berlin zwangsläufig einen Riesenärger geben musste, bei dem gewaltig viel diplomatisches Porzellan zu Bruch gehen würde. Und dieser Ärger ließ in der Tat nicht lange auf sich warten. Zwar hatte die Regierung in Stuttgart noch versucht, die Brisanz der Analyse dadurch herunter zu spielen, dass man die Denkschrift einfach als eine persönliche Meinungsäußerung des Grafen Zeppelin deklarierte, doch das Unheil nahm dennoch unverzüglich seinen Lauf. Selbst dem seit anderthalb Jahren regierenden Kaiser Wilhelm II. war die Analyse über den Preußischen Generalstab zugespielt worden. Mit wachsendem Unwillen schrieb der Kaiser seine Notizen an den Rand, die in der Schlussbemerkung gipfelten: »Bin sehr erstaunt über die hier zu Tage tretenden partikularistischen Ideen!«
Es war das Ende der Militärkarriere des Ferdinand Graf von Zeppelin – ein Ende, das nahezu zeitgleich mit der Entlassung des Reichskanzlers Bismarck erfolgte, mit dem sich der neue Kaiser schon seit seinem Amtsantritt im Juni 1888 in einem dauernden Konflikt befand: nur wenige Monate nach dem erzwungenen Abgang des Fürsten Bismarck sah sich nun also auch Zeppelin veranlasst, im Dezember 1890 sein Abschiedsgesuch bei der Armee einzureichen. Natürlich war man bei den Preußen sorgsam darauf bedacht gewesen, auf die Denkschrift keinesfalls direkt zu reagieren und sich damit womöglich eine Blöße zu geben. Der Plan, um den unbotmäßigen Zeppelin zur Räson zu bringen, war viel durchtriebener und wurde in aller Stille ausgearbeitet. Bei den Herbstmanövern in diesem Jahr würde man es diesem Kerl dann schon
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