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Ferien mit Patricia

Ferien mit Patricia

Titel: Ferien mit Patricia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Zuerst dieses »Tschtschtsch« und dann das traurige Gellen der Lokomotivpfeifen, immer würde ihm dieser Klang in den Ohren bleiben.
    Pat mußte jetzt bereits in Kenwoulton sein, wieder in dem häßlichen, lichtlosen Ziegelhaus in der Bishops Lane mit den an Kaninchenohren erinnernden Schornsteinen, wieder im Krieg, wieder dort, von wo sie damals mit ihrem kleinen prallen Koffer weggefahren war, mit ihrem gedankenvollen, verhaltenen Lächeln. Unten an der Treppe, dort hatte sie auf seine Uhr geschaut, um genau zu wissen, wann ihr gemeinsames Abenteuer begann. Er fragte sich, ob sie wohl wieder auf die Uhr geschaut haben mochte, um zu wissen, wann es endete. Der Wagen erreichte das Ende des Parkways und raste weiter. Nur noch einige Meilen... Oh, was für ein Durcheinander...
    Als sie sich Westbury näherten, sagte Jerry zum Chauffeur:
    »Kümmern Sie sich nicht um die angegebene Adresse. Setzen Sie mich irgendwo ab. Ich werde Ihnen sagen, wann...«
    »Wie Sie wünschen. Vermute, daß Sie nicht so plötzlich hereinplatzen möchten, he?«
    Jerry ließ ihn bei dieser Vermutung. Jetzt, da Westbury vor ihnen lag und sie durch die Straßen fuhren, durch die er als Junge so oft geradelt war, brauchte er Zeit zum Nachdenken. Er mußte sich mit dem Gedanken, zu Hause zu sein, erst vertraut machen, mußte sich auch von dem Traum befreien, der ihn wie ein Mantel umhüllte. Er hatte das merkwürdige Gefühl, daß er, wenn er lärmend mit dem Auto vor dem Hause vorführe, die Tür hinter sich zuschlagend, alle wecken würde. Jetzt wünschte er fast, er hätte angerufen. Irgendwann mußte ja doch die seltsame Illusion zerbrechen, irgendwann mußte er sich daheim zurechtfinden.
    Als sie bereits halb durch Westbury hindurch waren, klopfte er an die Scheibe: »Halten Sie hier!« An der Ecke der Chestnut- und der Hauptstraße, gegenüber der Schule, stieg er aus. Die Straße war voll von Leuten, die ihre Samstagnachmittagseinkäufe machten. Durch das Ladenfenster konnte er Joe, den Schuhputzer, erblicken, wie er die Schuhe eines Kunden auf Hochglanz polierte. Nebenan war Malloy, wo er und Catharine nach dem Kino manchmal Eis gegessen hatten. Weiter unten warb ein Plakat des Bijou-Theaters für einen Film, den er schon vor sechs Monaten in England gesehen hatte. Und da war auch der Templeton-Markt, wohin ihn seine Mutter hin und wieder mit dem Rad geschickt hatte, um noch etwas zu holen, was der Bote zu bringen vergessen hatte. Es wimmelte auf dem Markt von Leuten, die in Gemüse- und Obstkörben wühlten. Er sah Herbert, den fetten Gemüsehändler, wie er eben das Kraut von einem Bündel Mohrrüben ab riß.
    Von den Tennisplätzen neben der Schule tönte das Aufschlagen der Bälle herüber, und in den Lärm des Straßenverkehrs quietschte aus Milts Radiogeschäft Tanzmusik hinein. Erblickte an der Fassade der Schule empor, durch die offenen Fenster des Chemielabors sah er Menschen hin und her gehen oder sich über einen Tisch beugen. Es waren Jungen, die noch spät am Samstagnachmittag über irgendeiner Aufgabe brüteten. Das Schaufenster des Blumenladens von Pappos stand voll blauer Hortensien, und Jerry erinnerte sich, daß es die Lieblingsblumen seiner Mutter waren. Die Luft war erfüllt vom Geruch der Autos, gebrannter Bonbons aus Malloys Laden, von Benzin und dem in der Sonne schmorenden Pflaster — und noch immer war er nicht zu Hause...
    Mit einem sonderbaren Gefühl von Sehnsucht nach den häßlichen, ziegelroten Häusern und den von Bomben gerissenen Lücken dachte er an Kenwoulton, mit einem unbezwingbaren Verlangen nach dem Geruch bitteren Biers, der den Wirtshäusern entströmte, und nach dem durchdringenden Torfrauchgeruch, der überall in der Luft hing, und nach den trostlosen Schlangen der an den Autobushaltestellen wartenden Menschen, nach den Tabakläden , mit ihren grünen und roten Zigarettenpäckchen und Blechbüchsen voller Tabak, nach den alten Zeitungsverkäufern, die die Londoner Zeitungen ausriefen, nach den rotwangigen Frauen, die vor den Metzgerläden schwatzten oder in einer langen Reihe vor dem Fischgeschäft standen und deren unmelodiöser, schnarrender Midlandsakzent seine Ohren beleidigte und zugleich belustigte.
    Es war keineswegs so, daß er etwa Kenwoulton oder gar England geliebt hätte. Wie alle andern amerikanischen Soldaten fühlte er sich dort wie in der Verbannung. Und wie bei allen andern war das Zuhause sein einziger Gedanke gewesen, er hatte davon gesprochen und sich danach gesehnt, hatte

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